Nun ist es also so weit. Nach monatelanger Debatte beschloss die Bundesregierung am
23.08.2023 den Entwurf zum Selbstbestimmungsgesetz. Deniz Yücel spricht von einem
Tabubruch. Doch worum geht es eigentlich? In Zukunft soll jeder jährlich durch einfache
Erklärung vor dem Standesamt sein Geschlecht ändern können – mit einigen Ausnahmen.
Bundesfamilienministerin Paus erklärt dazu: „Das Grundgesetz garantiert die freie Entfaltung
der Persönlichkeit und die Achtung der geschlechtlichen Identität.“
Allerdings geht es im Entwurf zum Selbstbestimmungsgesetz streng genommen nicht um die
Achtung der geschlechtlichen Identität, sondern um die Achtung der subjektiv empfundenen
geschlechtlichen Identität. Dies korrespondiert mit einer Missachtung der objektiv durch den
Körper gegebenen bzw. vorgefundenen geschlechtlichen Identität. Denn deren Bedeutung
wird durch das Selbstbestimmungsgesetz für null und nichtig erklärt. Entscheidend ist allein
noch das subjektive Empfinden bzw. dessen Behauptung.
Selbstbestimmung und die Instrumentalisierung des menschlichen Körpers
Im Hintergrund steht eine leibfeindliche Kultur, wie sie sich schon in vielfältiger Weise
geäußert hat. Seit 6 Jahrzehnten manipulieren Frauen – oft hierzu angehalten durch Männer
– den Hormonhaushalt ihres Körpers, um ihn daran zu hindern, möglicherweise das zu tun,
was ein gesunder weiblicher Körper in einem bestimmten Alter eben – entsprechende
Handlungen vorausgesetzt – tut: ein Kind empfangen.
Fast zeitgleich hat die in-Vitro-Fertilisation den Menschen zum Produkt eines technischen
Vorgangs gemacht, bei dem Vater und Mutter lediglich noch als Rohstofflieferanten
fungieren.
Allen 3 Phänomenen gemeinsam ist eine rein instrumentelle Sicht auf den eigenen, den
menschlichen Körper. In dieser Sicht ist der menschliche Körper nicht wesentlicher Teil von
mir, der als solcher selbstverständlich über Würde verfügt und dem ich – und jeder andere –
Achtung schulde. Er ist Rohstoff, Werkstoff und Werkzeug, das ich je nach Bedarf
gebrauche, verändere und entsorge. Der Transhumanismus hat diese Sicht konsequent zu
Ende gedacht.

Eine alternative Sicht auf den menschlichen Körper bietet just die als leibfeindlich
verschriene katholische Kirche.
In seinen Mittwochskatechesen von 05.09.1979 bis 28.11.1984 entfaltete Johannes Paul II.
eine „Theologie des Leibes“. In ihr ist der menschliche Körper nicht Medium der
Selbstverwirklichung mittels Medikamenten und Chirurgie, sondern Medium der
Selbsterkenntnis. Durch seinen Körper erkennt sich der Mensch einerseits als den anderen
Lebewesen ähnlich, die wie er einen Körper besitzen, andererseits aber auch als von ihnen
grundsätzlich verschieden, da sein Körper es ihm erlaubt, die Welt und sein Leben auf
einzigartige Weise zu gestalten.
Diese Selbsterkenntnis geht für Johannes Paul II. in der Tat auch mit Selbstbestimmung
einher, jedoch mit einer ganz anderen Art von Selbstbestimmung als der heute propagierten.
Bei dieser Selbstbestimmung geht es nicht darum, zu wählen, welches Geschlecht man hat.
Tatsächlich viel fundamentaler geht es darum, zu bestimmen, ob man ein Mensch ist, der
sich ethisch oder unethisch verhält; eine Bestimmung, die in der Tat sehr viel mehr über uns
aussagt als ob wir nun Mann oder Frau sind; eine Bestimmung außerdem, die wir nicht
jährlich treffen können, sondern in jedem einzelnen Augenblick unseres Lebens neu treffen
müssen.
Eine alternative Sicht von Selbstbestimmung
Schließlich verwirklichen wir für Johannes Paul II. unsere Selbstbestimmung vor allem dann,
wenn wir uns ganz einem anderen schenken – sei es im Bund der Ehe oder durch den
Empfang der kirchlichen Weihe Jesus Christus. Und auch für diesen ultimativen Vollzug der
Selbstbestimmung wird der Körper zum unverzichtbaren und entscheidenden Medium – sei es in der ehelichen Vereinigung oder im zölibatären Verzicht auf sexuelle Erfüllung als
Zeichen für die Verheißungen des künftigen Lebens.
Auch für Johannes Paul II. ist die Selbstbestimmung allerdings beeinträchtigt – dies jedoch
nicht durch vermeintlich oder tatsächlich rückständige Gesetze und Vorschriften, sondern
durch die Sünde. Die Sünde beeinträchtigt unsere Fähigkeit, ethische Entscheidungen zu
treffen. Sie erschüttert zugleich unser Vertrauen in die Fähigkeit des anderen, dies zu tun.
Beides erschwert es uns bis zur Unmöglichkeit, uns wirklich ganz dem anderen zu schenken.
Unehelicher Geschlechtsverkehr, künstliche Verhütung, Abtreibung und das liberale
Scheidungsrecht sind reale Ausdrücke dessen.
Die Theologie des Leibes und die Würde des Menschen
Um zur wahren Selbstbestimmung zu gelangen empfiehlt Johannes Paul II. daher eine
ethische Selbsterziehung – idealerweise, muss man hinzufügen, mit Unterstützung von
außen. Das Ziel heißt Selbstbeherrschung durch Verzicht, um so wieder wirkliche
Selbstbestimmung zu ermöglichen.
Die Theologie des Leibes anerkennt die Würde des Menschen als ein ethisches Wesen und
die Würde des menschlichen Körpers als Medium dieses ethischen Wesens. Der daraus
folgende Anspruch ist hoch, doch nur weil die Würde so hoch angesetzt wird. Den
(ethischen) Anspruch zu reduzieren, heißt unweigerlich, die Würde zu verringern bzw. gering
zu achten.
Im deutschsprachigen Raum wurde die Theologie des Leibes lange totgeschwiegen. Doch
diese Zeiten sind Gott sei Dank vorbei. An der Hochschule Heiligenkreuz gibt es nun bereits
einige Jahre einen Studiengang in der Theologie des Leibes. Ehemalige Absolventen des
Studienganges haben die Initiative Theologie des Leibes gegründet, um diesen ethisch-
spirituellen Schatz möglichst vielen Menschen zugänglich zu machen. Deutsch- und
englischsprachige Bücher gibt es ohnehin bereits zahlreiche. Möge die Theologie des Leibes
viele erreichen. Wir brauchen sie.