Die Grenzen des Wachstums und das Kreuz
Das Bisherige kann so klingen als wäre bis zum 13. Jahrhundert alles in Ordnung gewesen und dann sei es zu einer folgenschweren Wendung zum Schlechteren gekommen. In Wahrheit ist es so, dass der Wendung am Übergang vom 13. zum 14. Jahrhundert ein tiefergehendes Problem zu Grunde liegt, das sich zu allen Zeiten in unterschiedlichen Formen zeigt. Zu dessen Verständnis bedarf es jedoch eines Blickes in die biblische Erzählung.
Der Sündenfall: Das Negieren von Grenzen
Im Buch Genesis lesen wir, dass Adam und Eva im Garten Eden in Fülle und Überfluss lebten (vgl. Gen. 2:9), in der wahren ursprünglichen Überflussgesellschaft:
„Gott, der HERR,
ließ aus dem Erdboden
allerlei Bäume wachsen,
begehrenswert anzusehen
und köstlich zu essen“
(Gen. 2:9)
Doch trotz dieses Überflusses begegnen Adam und Eva dennoch Grenzen:
„Dann gebot Gott, der HERR, dem Menschen:
Von allen Bäumen des Gartens darfst du essen,
doch vom Baum der Erkenntnis von Gut und Böse
darfst du nicht essen“
(Buch Mose 2:16f)
Wir sehen: Überfluss und Grenzen bilden im Paradies keinen Gegensatz, sondern harmonieren, ja bedingen sogar einander. Wie sehr dies der Fall ist, wird aber erst deutlich als der Versucher auftritt und den Gedanken in des Menschen Herz pflanzt, dass nur grenzenloser Überfluss kein Mangel ist und vorgefundene Grenzen dazu da sind, überschritten zu werden.
Das Glauben diese Lüge führt bei Adam und Eva zu dem Entschluss, den grenzenlosen Überfluss und die grenzenlose Fülle zu verwirklichen – auch und gerade entgegen Gottes bis dato einzigem Gebot. Dieser Entschluss äußerte sich in einer Handlung mit 3 Dimensionen:
- Sie eigneten sich etwas an – die Frucht vom Baum der Erkenntnis von Gut und Böse.
- Sie überschritten hierzu eine Grenze, ja, verstießen gegen sie – das Verbot, vom Baum der Erkenntnis von Gut und Böse zu essen.
- Sie durchtrennten hiermit zugleich ihre Verbundenheit mit Gott, die bis dato darin gegründet hatte, dass sie im Einklang mit seinem Willen lebten.
Die Handlung war also die beziehungszerstörende Aneignung von etwas Fremden via Grenzüberschreitung.
Verharren wir noch einen Moment bei der zweiten Dimension. Der Griff nach der verbotenen Frucht stellt die Auflehnung gegen die einzige Grenze dar, die Adam und Eva in ihrer Existenz vorfanden.
Man kann also sagen, dass in dieser einen Handlung zugleich ihre Auflehnung gegen das Konzept von Grenzen als solches zum Ausdruck kam, insbesondere ihre Auflehnung gegen ihre eigene Begrenztheit. Da Begrenztheit konstitutiv für das Geschöpfsein ist, steht hinter ihrer Auflehnung gegen ihre eigene Begrenztheit die Auflehnung gegen ihre Geschöpflichkeit – und damit gegen den Schöpfer als den Ursprung ihrer Geschöpflichkeit. In den Worten der Bibel: Sie wollten sein wie Gott.
Das Verlangen nach grenzenlosem Überfluss bringt jedoch das Gegenteil hervor: Mangel und Mühsal treten in das Menschenleben herein (Gen. 3:16-18) und mit beidem der Tod (Gen. 3:19).
Die Erlösung: Die Annahme von Grenzen
Doch wie antwortete Gott darauf?
Ein Blick in das Neue Testament zeigt, dass auch die Antwort Gottes 3 Dimensionen aufweist, die jede einzelne Dimension des menschlichen Handelns beantwortet:
Wo der alte Adam sich etwas Fremdes aneignet, verzichtet der neue Adam auf Eigenes: zuerst in der Menschwerdung darauf, „Gott gleich zu sein“ (Phil. 2:6), dann in der Passion auch noch auf menschliches Wohlergehen, ja Leben.
Wo der alte Adam gegen seine Begrenztheit aufbegehrte, unterwarf sich der neue Adam ihr als er Menschennatur, die „Knechtsgestalt“ (vgl. Phil. 2:7), annahm. Ja Leiden und selbst dem Tod, der ultimativen Grenze, unterwarf er sich.
Wo der alte Adam durch sein Aufbegehren gegen Gott die Verbundenheit mit ihm durchtrennte und so Mühsal und Tod erntete, lebte der neue Adam eine radikale Solidarität mit den Menschen, „bis zum Tod, bis zum Tod am Kreuz“ (Phil. 2:8) – und erntete die Auferstehung.

Wo der alte Adam mit der Aneignung von Fremdem, dem Aufbegehren gegen seine Begrenztheit und der Durchtrennung der Verbundenheit mit Gott durch seinen Ungehorsam den Tod wählte, zeigt der neue Adam uns mit dem Verzicht auf Eigenes, der Annahme von Begrenztheit und der Schaffung von Verbundenheit durch radikale Solidarität den Weg zum Leben.
Dies ernstzunehmen hat Konsequenz für unser aller Leben.
So steckt in der Nachfolge auf diesem Weg auch die Absage an die Vorstellung grenzenlosen Wachstums. Das Ja zur Suffizienz. Ja aber auch zu den Grenzen, die uns die Umstände auferlegen. Ja zu dem Eingeständnis, dass wir nicht ex nihilo schaffen. Ja zur Begrenztheit unseres schwachen, gefallenen Willens, der zum Bösen neigt und der Hilfe durch die Gnade bedarf, wie sie insbesondere die Sakramente vermitteln.
Ja zu den Begrenzungen, die uns Arbeit, Familie und die anderen auferlegen.
Ja zur Begrenztheit unserer Fähigkeiten und Stärken. Ja zu unserer Angewiesenheit auf andere.
Ja zu den Begrenzungen, die unser Körper auferlegt. Ja zu Krankheit und Alter.
Ja zu den Begrenzungen durch Zeit und Raum.
Ja zur ultimativen Grenze des Todes.
Im Kern ist es ein Ja zu unserer materiellen Existenz im aristotelischen Sinne, ein Ja zur Materialität als dem Prinzip unserer Begrenztheit. Ein Ja zu unserer Leiblichkeit.
Ein neuer Gnostizismus
Was wir dagegen heute erleben ist ein neuer Gnostizismus, eine Ablehnung unserer Materialität, unserer Leiblichkeit und unserer darin implizierten Begrenztheit. Die Wiederholung des Sündenfalls in immer neuen Formen.
Der Gnostizismus von Rechts predigt grenzenloses Wachstum der Wirtschaft und negiert die Begrenztheit, die Materialität der Schöpfung – mit katastrophalen Folgen.
Der Gnostizismus von Links lehnt sich auf gegen die Begrenzungen unserer Geschlechtlichkeit, unserer Sexualität und lehnt sich damit auf gegen die Begrenztheit, die Materialität von uns selbst – mit ebenso katastrophalen Folgen.
Die große Herausforderung unserer Zeit ist nicht die Annahme der Unsterblichkeit der Seele, des Ideel-Geistigen oder gar Gottes. Die große Herausforderung unserer Zeit ist die Annahme des Materiellen, des Leiblichen, des Prinzips der Begrenztheit.
Die Antwort: Das Kreuz
Wer uns den Ausweg aus unserer multidimensionalen sozial-ökologischen Krise weist – den Weg des Verzichts, der Annahme von Begrenztheit und radikaler Solidarität – ist Jesus Christus, der in Inkarnation und Passion unsere Materialität annahm und bis zum Äußersten durchlitt.
Der Weg, den er uns weist, ist der Kreuzweg. Das Kreuz konfrontiert uns mit dem, wovor wir am liebsten fliehen würden. Das Kreuz konfrontiert uns mit unserer Leiblichkeit, unserer Begrenztheit. Denn es geht uns unter die Haut und tief hinein ins Fleisch.
Die Annahme der eigenen Begrenztheit, der eigenen Materialität, bedeutet Kreuzesannahme.
Jesus Christus führt uns zum Kreuz.

Ohne Jesus Christus und ohne das Kreuz bleibt alles – aller technischer Fortschritt, Commoning, Permakultur, Strategien der Suffizienz – vorläufig und oberflächlich. Unsere Auflehnung gegen die Materialität wird dann nur an anderer Stelle wieder auftauchen, etwa in der Auflehnung gegen unsere eigene Leiblichkeit, auf welche in prophetischer Weise die Theologie des Leibes Johannes Pauls II. antwortet.
Deshalb müssen wir auf den schauen, den wir durchbohrt haben. Der Blick auf Jesus Christus, den Gekreuzigten, sagt uns alles, was wir wissen müssen.
Zugleich ist dieser Christus nicht einfach nur ein ethisches Vorbild, dem es nachzueifern gelte – das auch, doch weit mehr ist er unser Erlöser, der uns durch sein Leiden und Auferstehen den Heiligen Geist gebracht hat und durch ihn eine neue Verbundenheit mit Gott und untereinander im mystischen Leib Christi, der Kirche.