Option für die Armen

Dem Whole-Life-Ansatz beim Thema Lebensschutz entspricht ein ganzheitlicher Ansatz bei der Option für die Armen. Armut muss ganzheitlich begriffen werden. Zuerst muss dabei natürlich an die materiell Armen gedacht werden – regional wie global. Gerade hier geht es auch darum, eine Wirtschaft, die, in den Worten von Papst Franziskus, – auch, aber nicht nur im globalen Maßstab – tötet, so umzubauen, dass sie dem Menschen dient: jedem Menschen und dem ganzen Menschen. Dies beinhaltet den dezentralen Aufbau von Formen solidarischen Wirtschaftens, wie sie ansatzweise bereits in den Projekten solidarischer Landwirtschaft verwirklicht sind.

Ein solcher Umbau kann sich also nicht darauf beschränken, durch staatliche – oder globale – Umverteilung die Armen ruhig zu stellen, wiewohl Umverteilung zeitlich befristet notwendig sein mag. Der Ansatz muss vielmehr lauten: Hilfe zur Selbsthilfe. Das Ziel muss sein, dass sich immer mehr Menschen tatsächlich als Subjekte der Wirtschaft erfahren und nicht nur als deren Objekte. Die Armen müssen nach Möglichkeit selbst Träger wirtschaftlicher Verantwortung werden; idealerweise durch Existenz- oder (wo nicht anders möglich) Genossenschaftsgründungen. Das verlangt ihre personale Würde.

Da die materiell Armen am stärksten von den Folgen von Klimawandel und Umweltzerstörung betroffen sind und am wenigsten in der Lage sind, sich vor ihnen zu schützen, verlangt die Option für die materiell Armen auch einen ebenso effektiven wie sozialverträglichen Klima- und Umweltschutz. Die Bewahrung der Schöpfung hat auch eine soziale Dimension.

Eine ganzheitliche Option für die Armen

Dann geht es aber auch um die seelisch Armen – Einsame, Verlassene, psychisch Kranke, Drogenabhängige (vgl. Evangelii Gaudium 209ff).

Einer der wichtigsten Faktoren für seelisches Wohlergehen sind gute Beziehungen, also Beziehungen, die nicht oberflächlich und flüchtig sind, sondern dauerhaft und tiefgehend. Gute Beziehungen gedeihen jedoch nicht in einem luftleeren Raum, sondern benötigen selbst als Soziotop lebendige und auch strapazierfähige Gemeinschaften, in die sie eingebettet sind.

Die Option für die seelisch Armen beinhaltet also Rahmenbedingungen zu schaffen und zu stärken, die förderlich sind für starke Gemeinschaften und tiefgehende Beziehungen.

Das beginnt mit der (nicht allein finanziellen) Förderung von Eheschließungen – inklusive verbindlicher Ehevorbereitungskurse – und dem Erhalt geschlossener Ehen (unter anderem durch einen Ausbau der Eheberatungsangebote) sowie von Familiengründungen. Es verlangt aber auch, Bindungsfähigkeit als eine Kernkompetenz für gelingendes Leben anzuerkennen und ihrer Förderung von Anfang an Priorität einzuräumen und hierbei insbesondere die Bedeutung der Mutter-Kind-Bindung zu berücksichtigen.

Ebenso muss die generelle Bedeutung der Tugenden für ein gelingendes Leben anerkannt und ein Virtue mainstreaming implementiert werden, das insbesondere die Förderung des Tugendlebens der verschiedenen Gruppen von Armen berücksichtigt; gerade auch der seelisch Armen.

Es erfordert eine größere kommunale Finanzautonomie, so dass Kommunen in die Lage versetzt werden, passgenaue Förderprogramme für bestehende oder im Bestehen begriffene Gemeinschaften vor Ort zu entwickeln und umzusetzen.

Es beinhaltet auch, kritisch zu hinterfragen, wie eine gesteigerte geographische Mobilität der Bildung dauerhafter und damit potentiell tiefgehender Beziehungen und Gemeinschaften entgegenwirkt und Strategien zu entwickeln, dem entgegenzusteuern.

Das gilt ebenso für einen Arbeitsmarkt, der auf maximale Flexibilität setzt, eine Flexibilität, die nicht nur zu Lasten der Familie und anderer „privater“ Beziehungen geht, sondern auch, beispielsweise durch hohe Fluktuation der Mitarbeiter, effektiv die Entstehung solidarischer Beziehungen unter Kollegen verhindert und eine emotionale Verarmung am Arbeitsplatz fördert. Gerade hier können Formen genossenschaftlichen Wirtschaftens ein heilsames Gegengewicht bilden.

Im Kern muss es dabei darum gehen, eine Zivilisation der Liebe aufzubauen, die von einer Geisteshaltung des Schenkens getragen ist. Nur dann werden uns in den – materiell wie seelisch – Armen nicht irgendwelche Fremde begegnen, sondern unsere Brüder und Schwestern, mit denen wir eine tiefe Verbundenheit teilen. Es geht also auch um die Abkehr von einem individualistischen, Vereinzelung und Gleichgültigkeit fördernden, Gesellschafts- und Wirtschatsmodell, Menschen- und Weltbild.

Schließlich muss es auch um eine spirituelle Armut gehen, die nicht mit der Armut im Geiste zu verwechseln ist, von der Jesus Christus in den Seligpreisungen spricht (vgl. Mt. 5,3).

Armen

Diese spirituelle Armut zeigt sich etwa im Empfinden einer tiefen Sinnlosigkeit oder aber in einer völligen Eingeschlossenheit in der Immanenz, in einer dumpfen Unempfänglichkeit für jegliche Transzendenz, in einem manischen Konsumismus, einem zwanghaften Hedonismus, einem krampfhaften Streben nach Jugend oder einem gnadenlosen Leistungsdenken.

Die Option für die spirituell Armen verlangt eine Absage an einen strikten Laizismus, der Religion und religiöse Wahrheitsansprüche aus dem öffentlichen Raum verbannen will, so dass für diesen nur noch ein platter Materialismus und Konsumismus als einigendes Band übrig bleibt. Sie verlangt den lebhaften, aber notwendig gewaltfreien gesellschaftlichen Streit über religiöse Wahrheitsansprüche und die unterschiedlichen religiösen wie philosophischen, transzendenten wie immanenten Sinndeutungen.

Auch wenn materiell Arme nicht per se bessere Menschen sind, können sie, wie Papst Franziskus in Übereinstimmung mit Gaudium et Spes 15 nicht müde wird zu betonen, dabei vielleicht auch den seelisch und spirituell Armen, die materiell oftmals relativ oder sogar absolut reich sind, etwas beibringen. So können wir dann vielleicht zu einer Solidarität finden, die nicht von Einseitigkeit und einer rein materialistischen Sichtweise geprägt ist.