Laudato si als Weiterentwicklung des päpstlichen Lehramtes
Im Folgenden soll es darum gehen, wie dieser Begriff aus dem Lehramt von Johannes Paul II. und Benedikt XVI. von Papst Franziskus aufgegriffen und weiterentwickelt wird.
Alle weiteren expliziten Bezugnahmen auf diesen Begriff erfolgen in Kapitel 4, „Eine ganzheitliche Ökologie“, im Abschnitt „Ökologie des Alltagslebens“, zunächst in Nr. 148. [3]Ebd. Nr. 148, 10.10.2021, 15:50 Uhr.
"Humanökologie" erfordert Engagement
Papst Franziskus spricht hier von der „Humanökologie“ als etwas, das von Armen inmitten von Begrenzungen geschaffen werde. Hier lässt sich also zunächst einmal Folgendes festhalten: „Humanökologie“ setzt Menschen als moralische Handlungsträger voraus. Sie ist nichts, was einfach vorgefunden würde. Vielmehr verlangt sie bewussten Einsatz, Engagement, Entscheidung. Wichtig ist in diesem Zusammenhang aber auch noch ein zweiter Punkt: Die moralischen Handlungsträger sind in diesem Fall die Armen, die somit nicht als passiv, als Objekte oder Opfer in Erscheinung treten, sondern als Akteure, als Gestalter. Die unausgesprochene Botschaft, die aber nichtsdestotrotz deutlich vernehmbar ist: Wenn selbst die Margnalisierten eine „Humanökologie“ schaffen können, so ist „Humanökologie“ etwas, das grundsätzlich jeder schaffen kann. Darin steckt dann aber auch der Appell an jeden, sich für die Schaffung einer „Humanökologie“ zu engagieren.
Eine Humanisierung der Stadt
Was lernen wir darüber hinaus an dieser Stelle über die „Humanökologie“? Papst Franziskus beschreibt unter Bezugnahme auf den Begriff „Humanökologie“, wie die negativen Folgen der Verstädterung – Beklemmung durch Zusammenballung und Umweltbegrenzungen – durch Nähe und Herzenswärme, ein Netz von Gemeinschaft und Zugehörigkeit kompensiert werden können. Papst Franziskus vermeidet hier die beiden Extreme einer Idealisierung entweder des Stadtlebens oder des Landlebens. Ohne die negativen Effekte der Verstädterung – Enge, Anonymität – zu beschönigen, stellt er die Fähigkeit des Menschen, jedes Menschen, als moralischen Handlungsträger heraus, auch inmitten ungünstiger Umstände die Voraussetzungen für ein würdiges Leben zu schaffen, die zu aller erst in vertrauten persönlichen Beziehungen zu suchen sind, eben in Nähe und Herzenswärme.
Zusammenfassend lässt sich also festhalten:
„Humanökologie“ ist nichts Vorgefundenes, nichts Fertiges, sondern etwas von Menschen als moralischen Handlungsträgern Geschaffenes.
Zu einer „Humanökologie“ gehören für Papst Franziskus Nähe und Herzenswärme, menschliche Beziehungen, Gemeinschaft und Zugehörigkeit. Anders formuliert: Eine „Humanökologie“ wird dem Menschen als soziales Wesen gerecht. Menschen sind Personen, nicht atomisierte Individuen, die losgelöst und getrennt voneinander leben – und glücklich – werden können.
Ein drittes Mal bezieht sich Papst Franziskus in Nr. 152 auf die „Humanökologie“. Dieser Teil der Enzyklika ist dem Thema Wohnungsnot gewidmet. Der Besitz einer Wohnung sei „eine zentrale Frage der Humanökologie“, denn er habe „viel mit der Würde der Personen und der Entfaltung der Familien zu tun“. [4]Ebd., Nr. 152, 10.10.2021, 19:50 Uhr. Angesichts der vielfältigen Situationen vor Ort rechnet Papst Franziskus damit, dass hierzu von Fall zu Fall unterschiedliche Maßnahmen zu ergreifen sind. Wo möglich sollte es vermieden werden, „Bewohner zu entwurzeln und zu vertreiben“ [5]Ebd.. Stattdessen müssten ihre Quartiere urbanisiert werden. Wo dagegen eine Umsiedlung unausweichlich sei, komme es darauf an, „im Vorfeld für eine angemessene Information zu sorgen, menschenwürdige Wohnalternativen anzubieten und die Betroffenen direkt einzubinden“ [6]Ebd.. Zugleich müsse es jedoch das Ziel sein, auch „die problematischen Quartiere in eine gastfreundliche Stadt einzufügen“. [7]Ebd.
Eine Mahnung an die Entscheidungsträger
Wie schon in Nr. 148 geht Papst Franziskus auch hier auf die konkreten Lebensbedingungen der Menschen ein. Wo es ihm jedoch in Nr. 148 um die zwischenmenschliche Ebene, die Qualität der Beziehungen geht, da kommt er in Nr. 152 auf eine andere Qualität zu sprechen, jene des Wohnens. Er macht deutlich, dass dies ein Faktor der „Humanökologie“ ist, der – anders als etwa Nähe und Herzenswärme, menschliche Beziehungen, Gemeinschaft und Zugehörigkeit – nicht einfach von jedem Einzelnen in Eigenregie oder Eigenverantwortung angegangen werden kann. Die Herstellung von „Humanökologie“ verlangt mithin auch kollektives Handeln, vollzogen etwa durch Stadtplaner und (Kommunal-)Politiker. Auch können je nach Umständen unterschiedliche Wege angeraten sein. Hier bedarf es der Kardinaltugend der Klugheit, um der Situation angemessene und möglichst schonende Lösungen zu finden. Doch auch wo Aktion und Verantwortung bei anderen als den unmittelbar Betroffenen liegt, mahnt Papst Franziskus an, immer deren Würde zu achten, indem man würdige Lösungen findet, die Betroffenen vor und während des Prozesses informiert und einbindet. Keinesfalls sollen bei der Suche nach Lösungen die Betroffenen rein technischen Erwägungen geopfert werden. Die Fachleute und Verantwortungsträger müssen auch den Input der Konsequenzenträger berücksichtigen. Ja, sie brauchen ihn.
Menschen brauchen Wurzeln
Noch ein weiterer Aspekt ist an dieser Stelle kurz zu betrachten: Wenn Papst Franziskus den Vorrang der Urbanisierung bestehender Quartiere gegenüber einer „Entwurzelung“ der Bewohner betont, so macht er damit etwas deutlich, was in Zeiten maximaler Mobilität und Flexibilität nicht (mehr) selbstverständlich ist: dass Menschen Wurzeln brauchen und ihr Verlust ein Übel ist, das mit einem Leiden verbunden ist. [8]Ein Thema, das zum Beispiel die christliche Mystikerin und französische Philosophin Simone Weil in ihrem Buch „Die Verwurzelung. Vorspiel zu einer Erklärung der Pflichten dem Menschen … Continue reading Aus dem Kontext heraus wird außerdem ersichtlich, dass diese Wurzeln für jeden Menschen an einen bestimmten Raum, an einen konkreten Ort gebunden sind, so dass von hier aus noch einmal verständlicher wird, wie Papst Franziskus später in „Fratelli tutti“ auch von einem „Recht nicht auszuwandern – das heißt, in der Lage zu sein, im eigenen Land zu bleiben“ [9]http://www.vatican.va/content/francesco/de/encyclicals/documents/papa-francesco_20201003_enciclica-fratelli-tutti.html, Nr. 38, 10.10.2021, 21:45 Uhr., sprechen kann.
Diesen Punkt damit abschließend bleibt festzuhalten:
Zu einer „Humanökologie“ gehört für Papst Franziskus auch der Besitz einer Wohnung oder, wie es in der englischen Fassung lautet, eines „home“, eines Zuhauses.
Die Verwirklichung einer umfassenden „Humanökologie“ verlangt neben persönlichem Engagement auch kollektive Anstrengungen.
An dieser Stelle lohnt es sich, kurz innezuhalten und sich bewusst zu machen, dass die beiden letzten Punkte, in denen Papst Franziskus auf eine „Humanökologie“ zu sprechen kam, inhaltlich direkt an die bereits erwähnte Enzyklika „Centesimus Annus“ von Papst Johannes Paul II. anknüpfen. In dieser heißt es in Nummer 38: „In diesem Zusammenhang [der „Humanökologie“] sind die ernsten Probleme der modernen Verstädterung zu erwähnen, die Notwendigkeit einer städtischen Kultur, die Sorge trägt für das Leben der Menschen“ [10]http://www.vatican.va/content/john-paul-ii/de/encyclicals/documents/hf_jp-ii_enc_01051991_centesimus-annus.html, Nr. 38, 10.10.2021, 20:30 Uhr. Es ist genau dieses Thema, das Papst Franziskus hier weiter entfaltet.
Zur Gestaltung einer würdigeren Umgebung erachtet er es als notwendig, dass das Leben des Menschen auf dieses moralische Gesetz bezogen ist. Anders formuliert: Ohne Bezug des (eigenen) Lebens auf das Naturrecht, kann die Umgebung nicht würdiger gestaltet werden. [16]Ebd.
Ausgehend hiervon kommt Papst Franziskus nun auf eine Verhältnisbestimmung des Menschen zu seinem eigenen Körper zu sprechen. Hierzu weist er zunächst darauf hin, „dass unser Körper uns in eine direkte Beziehung zu der Umwelt und den anderen Lebewesen stellt“ [17]Ebd.. Mit anderen Worten: Durch und über unseren Körper haben wir eine direkte Beziehung zur Umwelt und zu den anderen Lebewesen. Hieraus folgt für Papst Franziskus, dass unsere Beziehung zu unserem Körper unweigerlich Auswirkungen hat auf unsere Beziehung zur Umwelt und zu den anderen Lebewesen. Betrachten wir unseren Körper als ein Objekt, über das wir herrschen und das wir nach Belieben manipulieren und verändern können, werden wir, wenn vielleicht auch nur subtil, ebenfalls die Umwelt und andere Lebewesen nach derselben Logik bewerten und letztlich behandeln. Können wir dagegen den eigenen Körper als Gabe Gottes akzeptieren, werden wir fähig, auch die ganze Welt als Gabe zu empfangen. [18]Über eine „Metaphysik der Gabe“ und eine „ganzheitlich-ökologische Ethik“ vgl. Taylor, Michael Dominic, The Foundations of Nature. Metaphysics of Gift for an Integral Ecological Ethic, … Continue reading
Papst Franziskus liefert hier seine eigene, vom menschlichen Körper, seiner Leibhaftigkeit ausgehenden Begründung für eine Aussage, die sein unmittelbarer Vorgänger in der Sozialenzyklika „Caritas in Veritate“ getroffen hat: „Die Verhaltensmuster, nach denen der Mensch die Umwelt behandelt, beeinflussen die Verhaltensmuster, nach denen er sich selbst behandelt, und umgekehrt.“ [19]http://www.vatican.va/content/benedict-xvi/de/encyclicals/documents/hf_ben-xvi_enc_20090629_caritas-in-veritate.html, Nr. 51, 10.10.20.21, 15:10 Uhr. Dies, so kann man nun mit Papst Franziskus sagen, ist so, da Mensch und Umwelt über den menschlichen Körper direkt und unmittelbar miteinander verbunden sind. Der Gedankengang von Papst Franziskus gipfelt in der Schlussfolgerung: „Zu lernen, den eigenen Körper anzunehmen, ihn zu pflegen und seine vielschichtige Bedeutung zu respektieren, ist für eine wahrhaftige Humanökologie wesentlich.“ [20]http://www.vatican.va/content/francesco/de/encyclicals/documents/papa-francesco_20150524_enciclica-laudato-si.html, Nr. 155, 10.10.2021, 14:05 Uhr.
Zu einer „Humanökologie“ gehört für Papst Franziskus auch der Bezug des menschlichen Lebens zum Naturrecht.
Zu einer „Humanökologie“ gehört für Papst Franziskus, zu lernen, den eigenen Körper, auch in seiner Weiblichkeit oder Männlichkeit, anzunehmen, ihn zu pflegen und seine vielschichtige Bedeutung zu respektieren.
Es ist aber auch darauf hinzuweisen, dass das gesamte Kapitel 4 von „Laudato si“, das mit „Eine ganzheitliche Ökologie“ überschrieben ist, implizit lebt vom Bezug auf die „Humanökologie“. So findet sich der Begriff der „Sozialökologie“, dem Papst Franziskus breiten Raum bietet, bereits in „Centesimus Annus“ als ein Aspekt der „Humanökologie“. [24]http://www.vatican.va/content/john-paul-ii/de/encyclicals/documents/hf_jp-ii_enc_01051991_centesimus-annus.html, Nr. 38, 10.10.2021, 20:30 Uhr. Die von Papst Franziskus ebenfalls vorgelegten und inhaltlich gefüllten Begriffe „Wirtschaftsökologie“, „Kulturökologie“ und „Ökologie des Alltages“ müssen in einer Linie mit der „Sozialökologie“ als Teilbereiche und Entfaltungen der „Humanökologie“ angesehen werden. In seiner “ganzheitlichen Ökologie“ knüpft Papst Franziskus also einerseits an das Lehramt seiner Vorgänger an und entwickelt es zugleich eigenständig und auf kreative Weise weiter.
Ein Thema, das zum Beispiel die christliche Mystikerin und französische Philosophin Simone Weil in ihrem Buch „Die Verwurzelung. Vorspiel zu einer Erklärung der Pflichten dem Menschen gegenüber“ untersucht hat.
Über eine „Metaphysik der Gabe“ und eine „ganzheitlich-ökologische Ethik“ vgl. Taylor, Michael Dominic, The Foundations of Nature. Metaphysics of Gift for an Integral Ecological Ethic, Eugene Oregon USA 2020.