Staunendes Schweigen...
An der Wurzel unserer spätmodernen Misere steht eine falsche Theologie (mehr dazu hier). Im Spätmittelalter dachte der franziskanische Theologe und Philosoph Johannes Duns Scotus, dass es über und jenseits Gottes noch eine Kategorie gäbe, die Gott und Menschen, Schöpfer und Schöpfung umgreifen würde: das Sein.
Damit stellte Duns Scotus Gott und Mensch, Schöpfer und Schöpfung auf eine Stufe miteinander und schuf die Grundlage für ein Verständnis ihrer Beziehung zueinander als Konkurrenzverhältnis. Wo Gott ist und wirkt, da ist und wirkt nicht der Mensch (oder die Naturgesetze) und wo der Mensch (oder ein Naturgesetz) ist und wirkt, da ist und wirkt nicht Gott.
Die Folge war, dass der naturwissenschaftliche Fortschritt Gott aus der Natur und das menschliche Autonomiestreben Gott aus den menschlichen Angelegenheiten hinausdrängte. Die Konsequenzen waren jedoch noch weitreichender.
Auf der Ebene des Menschenbildes zog mit dem kartesianischen Leib-Seele-Dualismus die Vorstellung eines Konkurrenzverhältnisses in die Beziehung von Geist (lat. mens) und Körper ein. Die menschlichen Verhältnisse wurden von Thomas Hobbes und John Locke nach potentiell miteinander konkurrierenden Rechten geordnet mit dem Staat als ultimativem (Schieds)Richter. In diesem Zuge wurde schließlich ebenfalls das Verhältnis Mensch – Natur als ein Konkurrenzverhältnis begriffen: hier Kultur, dort Natur. Adam Smith machte das Konkurrenz- bzw. Wettbewerbsprinzip zur Grundlage der Ökonomie. Die Konsequenz all dieser Entwicklungen ist die multidimensionale sozial-ökologische Krise unserer Tage: Ausbeutung von Mensch und Natur, inklusive Selbstausbeutung.
Da aber an der Wurzel der Misere eine falsche Theologie steht, steht auch an der Wurzel ihrer Lösung die Rückkehr zu der wahren Theologie.
Diese Rückkehr verläuft über die Wiederentdeckung und ein erneuertes Ernstnehmen des 2. Gebots des biblischen Dekalogs, in der Fassung von Exodus:
„Du sollst dir kein Kultbild machen und keine Gestalt von irgendetwas am Himmel droben, auf der Erde unten oder im Wasser unter der Erde.“
(Ex. 20,4)
In diesem Sinne gilt es den Rat des heiligen Augustinus ernst zu nehmen: „Wenn Du etwas begreifst, ist es nicht Gott.“[1]Augustinus, Sermones, hg. v. Migne, Jean Paul, Patrologia Latina 38, Paris 1841 (Nachdruck Turnhout 1978),Sermo 117, 3, 5
Mit anderen Worten: Wenn Du etwas in Kategorien stecken kannst, und sei es eine so allumfassende wie das Sein selbst, ist es nicht Gott. Sprich: Der Gott des Johannes Duns Scotus – jedenfalls der Gott, den er philosophisch lehrte – ist nicht der lebendige Gott.

Getreu des 2. Gebotes definierte Anselm von Canterbury Gott als das „worüber hinaus nichts Größeres gedacht werden kann“. Auch diesem Gottesbegriff genügte Duns Scotus‘ Gott nicht, denn Duns Scotus selbst dachte über diesen Gott hinaus ja etwas Größeres: eben das Sein.
Schließlich widersprach Duns Scouts‘ Denken dem IV. Laterankonzil (1213 – 1215), das festgehalten hatte, dass von Gott nur in analoger Weise gesprochen werden könne, da unsere menschlichen Begriffe nur sehr unzureichend beschreiben. Das heißt: Gott „ist“ nicht in der gleichen Weise wie wir es sind. Sein „Sein“ fällt daher auch nicht in dieselbe Kategorie, ja, es fällt in überhaupt keine Kategorie.
Dieser Lehre entsprach nicht nur seine Lehre von der analogia entis, der Analogie des Seins, sondern auch die Lebenserfahrung des Thomas von Aquin, dem gegen Ende seines Lebens nach einer mystischen Erfahrung sein ganzes theologisches und philosophisches Werk nur noch wie Stroh vorkam, so dass er nie wieder etwas schrieb.
Schweigendes Staunen und staunendes Schweigen
Dies alles zeigt, wie sehr – und auch mit welch weitreichenden Folgen – selbst ein brillanter Theologe (und Seliger) in die Irre gehen kann, wenn er an einem bestimmten Punkt das Zeugnis der Heiligen Schrift, die Tradition und das Lehramt der Kirche außer Acht lässt. Was wir, die wir unweigerlich von Scotus‘ Denken geprägt wurden, daher mehr als alles andere brauchen, ist eine Rückkehr in den breiten Strom der kirchlichen Tradition.
Zu diesem gehört auch die große Tradition der negativen Theologie, die heute in der orthodoxen Kirche noch lebendiger und präsenter ist. Die negative Theologie macht mit dem zweiten der 10 Gebote ernst.
Die Abkehr von der falschen Theologie Duns Scotus‘ erfordert also ganz konkret eine Wiederentdeckung der negativen Theologie – und damit das demütige[2]vgl. Laudato si Nr. 224 Eingeständnis, dass Gott größer ist als die Grenzen unseres Verstandes.
Diese Wiederentdeckung ist daher weniger ein intellektuelles Unternehmen als ein existentieller und spiritueller Prozess. Es verlangt anzuerkennen, dass wir mit unserem Denken und Wollen Gott niemals einholen können und dass es deshalb die angemessene Haltung ihm gegenüber ist, sich diesem Mysterium mit schweigendem Staunen und staunendem Schweigen zu nähern, sprich: anbetend.
Der erste Schritt hin zu einer Spiritualität einer ganzheitlichen Ökologie besteht also in der Anbetung des lebendigen Gottes.
References[+]
↑1 | Augustinus, Sermones, hg. v. Migne, Jean Paul, Patrologia Latina 38, Paris 1841 (Nachdruck Turnhout 1978),Sermo 117, 3, 5 |
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↑2 | vgl. Laudato si Nr. 224 |