Form und Würde des Menschen

Ist die Menschenwürde eine Konvention, auf die man sich aus pragmatischen Gründen geeinigt hat? Eine rein funktionale Fiktion?

Falls sie das nicht ist – und diese Überzeugung wird hier vertreten – muss sie in etwas Realem gründen. Und um wirklich universell zu gelten, um also alle Menschen zu umfassen, muss sie in etwas Realem gründen, das ebenfalls universell menschlich ist. Das aber ist allein die menschliche Form.

Alles, was aus der Materie folgt – wie äußeres Erscheinungsbild, ethnische Herkunft, Alter, Größe, Geschlecht, sexuelle Orientierung, kognitive Leistungsfähigkeit, Schmerzempfinden, Bewusstsein, Vorlieben und Interessen und vieles mehr – umfasst nicht alle Menschen und schließt daher – im Letzten willkürlich – einen Teil der Menschen von der Menschenwürde aus.

Einen dieser Punkte, mehrere oder vergleichbare herauszugreifen und daran Menschsein und Menschenwürde festzumachen, bedeutet, sich an (oft wandelbaren) Äußerlichkeiten zu orientieren.

Und es bedeutet, die Menschenwürde als Waffe zu missbrauchen, um unliebsame Menschengruppen auszusondern, ihnen das Menschsein und damit die Schutzwürdigkeit abzusprechen und sie so als Freiwild zu deklarieren bei zugleich dem Augenschein nach gutem Gewissen.

In der Sprache der Philosophie des Aristoteles handelt es sich bei all diesen Punkten um Akzidentien. Nichts davon bildet den Kern, das Wesen des Menschen – seine Substanz.

Natürlich gibt es Charakteristika, die alle Menschen gemeinsam haben: eine menschliche DNA zum Beispiel oder einen Stoffwechsel. Doch Stoffwechsel ist nichts spezifisch Menschliches. Auch alle anderen Lebewesen haben ihn. Und was sollte an der menschlichen DNA so besonders sein?

Beides scheidet also aus als Begründung der Menschenwürde.

Die Menschenwürde gründet in der menschlichen Form

Doch worin gründet die Menschenwürde? Wie schon gesagt: in der menschlichen Form. Doch was ist das Besondere an der menschlichen Form gegenüber allen anderen Formen?

Es ist die prinzipielle Fähigkeit zu abstraktem Denken, die Fähigkeit nach der Wahrheit und dem Guten zu fragen bzw. diese Fragen zu verstehen und daraus folgend, die Fähigkeit zu ethischem – aber auch unethischem – Verhalten.

Wichtig ist: Es geht um die prinzipielle Fähigkeit hierzu, die mit der menschlichen Form gegeben ist. Es geht nicht um die tatsächliche momentane Fähigkeit, die von Mensch zu Mensch und bei jedem einzelnen Menschen von Moment zu Moment unterschiedlich ausgebildet ist und wiederum von materiellen Faktoren wie dem Alter – oder auch der Gesundheit – abhängen.

Menschenwürde

Allein die Orientierung an der universellen menschlichen Form als Fundament der Menschenwürde sichert die fundamentale Gleichheit aller Menschen. Die Orientierung an tatsächlichen momentanen Fähigkeiten dagegen fördert Klassismus, Rassismus, Ableismus und vergleichbare menschenfeindliche Ideologien.

Das heißt nicht, dass es nicht faktisch eine legitime Ausdifferenzierung unter Menschen nach unterschiedlichsten Kriterien geben kann und darf – doch eben vor dem Hintergrund einer fundamentalen Gleichheit des Wesens und der Würde aller.

Noch ein Wort zur menschlichen DNA: Wo immer ein lebender Organismus – und sei es eine Zygote – über menschliche DNA verfügt (mögliche Hybriden wären hier gesondert zu betrachten) ist die menschliche Form vorhanden und damit die mit dieser einhergehenden Würde.

Würde aber einmal ein Lebewesen entdeckt, das über eine andere DNA, aber dennoch über die selbe prinzipielle Fähigkeit verfügte, müsste diesem Lebewesen dieselbe Würde wie einem Menschen zuerkannt werden.