Entwurzelung entgegenwirken: Heimatverbundenheit fördern

Eine der Formen seelischer Armut ist die Entwurzelung bzw. der Heimatverlust. Gerade jene, die auch materiell arm sind, sind von ihr besonders häufig betroffen, da ihnen die materielle Armut entweder den Heimatverlust direkt aufnötigt oder doch zumindest indirekt die Möglichkeit nimmt, ihn abzuwenden.

Dies gilt zum Beispiel für Menschen des globalen Südens, die aufgrund von Kriegen oder wirtschaftlicher Perspektivlosigkeit – auch infolge neokolonialer Praktiken der Länder des globalen Nordens – gezwungen sind, ihre Heimat zu verlassen.

Entwurzelung

Doch auch in den Ländern des globalen Nordens gibt es Menschen, wiederum oft auch materiell Arme, die eine Entwurzelung und eine Art Verlust der Heimat erleben durch eine ökonomisch bedingte und technologisch beförderte kulturelle Homogenisierung (vgl. Laudato si 144f, Christus vivit 185f), die Räume austauschbar macht und dadurch bedeutungslos, sinnentleert werden lässt.

Der daraus häufig, jedoch nicht durchweg, resultierende Zulauf zu rechten und rechtspopulistischen Parteien ist eine Gefahr für den sozialen Frieden. Auch aus diesem Grund – und nicht nur weil es eine Frage der Gerechtigkeit ist – müssen die zugrundeliegenden Probleme und Bedürfnisse angegangen werden.

Der Entwurzelung entgegenzuwirken und Heimatverbundenheit zu fördern ist also ein wichtiger Aspekt einer ganzheitlichen Option für die Armen und zugleich ein Beitrag zu Frieden und Versöhnung.

Ursachen der Entwurzelung

Papst Franziskus hat folgende Ursachen für Entwurzelung benannt:

  • Umstände, die zur Emigration zwingen
  • ein Weltwirtschaftssystem, das kulturell Homogenisierung bewirkt
  • Ideologien, die lehren, die Vergangenheit und Geschichte, das Alte und die Alten sowie Traditionen abzuwerten und zu verachten
  • die Anonymität und Verwahrlosung in großen Städten und kommunalen Antworten hierauf über die betroffenen Menschen hinweg
  • eine räumliche Segregation der älteren Generation in Alten- und Pflegeheimen
  • fehlende Offenheit für den Kontakt mit anderen Kulturen

Schritte im Kampf gegen die Entwurzelung

Hieraus folgend ergeben sich – unter anderem – folgende Schritte im Kampf gegen Entwurzelung und für die betroffenen Armen unserer Zeit:

  • Das Recht, nicht auswandern zu müssen, muss verwirklicht werden. Kurz: Fluchtursachen müssen bekämpft werden.
  • Es müssen alternative und solidarische Formen des Wirtschaftens aufgebaut werden, die mehr der personalen Natur des Menschen entsprechen als das gegenwärtige individualistische Wirtschaftssystem.
  • Es braucht eine Teil-Reregionalisierung der Weltwirtschaft (Stichwort glokale bzw. kosmo-lokale Produktion), der also nicht nur eine umweltökologische, sondern auch eine humanökologische Bedeutung zukommt. Dies kann im Übrigen auch ein Beitrag zur Verwirklichung des Rechtes, nicht auswandern zu müssen, sein.
  • Im Bereich Bildung und Erziehung muss ein Fokus auf aktiver Brauchtumspflege inkl. der Vermittlung lokaler Dialekte und der intensivierten Vermittlung von Lokal- und Regionalgeschichte liegen.

  • Auf kommunaler Ebene muss die Bürgerbeteiligung ausgebaut werden, speziell die Stadtteilentwicklung muss von Rathäusern und Gemeinderäten nach Möglichkeit in Bürgerhand gelegt werden.
  • Es müssen Voraussetzungen dafür geschaffen werden, dass Ältere möglichst bis zu ihrem Tod im Kreise ihrer Familien verbleiben können (Ausweitung der Zuschüsse zum barrierefreien Umbau von Wohneigentum, Förderung des (Aus)Baus oder Erwerbs von Mehrgenerationenfamilienhäusern, Ausweitung und finanzielle Aufwertung von Pflegezeiten, Schulung und Mentoring der Angehörigen usw.). Alten- und Pflegeheime sollten die absolute Ausnahme sein, etwa für kinderlose Alleinstehende ohne weitere Verwandtschaft. Der kleinere Kreis an betreuten Personen könnte den Pflegenotstand abwenden und die Qualität der Pflege in den Einrichtungen erheblich verbessern. Voraussetzung hierfür sind natürlich auch kinderreiche Familien, so dass die Pflege der Eltern nicht bei einem einzelnen Kind und dessen Ehepartner (der ja ggf. auch noch eigene Eltern zu pflegen hat) verbleibt. Auch dies gilt es entsprechend nach Kräften zu fördern. Ergänzend sollten innerfamiliäre Lösungen zur Kinderbetreuung gegenüber außerfamiliären Lösungen privilegiert werden, um auf diesem Weg auch das Band zwischen der älteren und der ganz jungen Generation zu festigen. Fördermöglichkeiten in diesem Bereich umfassen unter anderem finanzielle Zuschüsse, Schulungen und Mentoring durch Fachpersonal, aber auch Hilfestellungen bei der Vernetzung der Familien untereinander.

  • Programme zu kultureller Begegnung und kulturellem Austausch müssen durchgeführt werden, die auf der Achtung aller beteiligter Kulturen basieren.

Heimatverbundenheit kann außerdem auch dadurch gestärkt werden, dass der politische Trend in Richtung immer weiter gehender Zentralisierung (auf Bundesebene und darüber hinaus) gestoppt wird und Bundesländer und Kommunen politisch aufgewertet werden.

Indem die eigene Heimat nicht nur emotionale Signifikanz besitzt, sondern auch an politischem Gewicht gewinnt, nimmt die Verbundenheit mit ihr zu. Mehr noch: Die emotionale Bindung findet eine öffentlich-rechtliche Anerkennung, Bestätigung und Bekräftigung.

Speziell in Deutschland ist dabei zu beachten, dass einige Bundesländer (etwa Baden-Württemberg oder NRW) nach dem 2. Weltkrieg geschaffene Gebilde sind, die ältere regionale Identitäten (Badener, Schwaben, Kurpfälzer, Rheinländer, Westfalen) überlagern.

Ein Beitrag zur Heimatverbundenheit könnte es auch sein, diesen im Sinne eines inneren Föderalismus auch wieder eine eingeschränkte politische Selbstverwaltung innerhalb ihrer Bundesländer zu verleihen.

Der Entwurzelung entgegenwirken und Heimatverbundenheit zu fördern ist also ein Querschnittsthema, das internationale Zusammenarbeit, Wirtschaft, Soziales, Bildung und Erziehung sowie den Staatsaufbau umfasst.