In Rom endet in diesen Tagen die Bischofssynode zur Synodalität. Es ist ein guter Anlass, einen Blogeintrag der Synodalität und dem Dialog zu widmen – zwei der Kernanliegen von Papst Franziskus.

Vor einiger Zeit habe ich argumentiert, dass sich hinter dem Glauben an grenzenloses Wachstum, aber auch an die grenzenlose Autonomie über den (eigenen) menschlichen Leib, eine Auflehnung gegen unsere Leiblichkeit im Besonderen und die Materialität als Prinzip unserer Begrenztheit im Allgemeinen verbirgt. Die Auflehnung gegen unsere Begrenztheit ist
aber Auflehnung gegen unsere Geschöpflichkeit und damit Auflehnung gegen unseren Schöpfer, gegen Gott. Es ist der Versuch, wie Gott zu sein – nur ohne bzw. gegen Gott. Es ist der Versuch, jeglichen Mangel, jegliches Leid (jegliche Mühe) und ultimativ den Tod selbst – Stichwort Transhumanismus – mithilfe der Technik zu überwinden. Kurzum: Es ist Gefolgschaft gegenüber dem technokratischen Paradigma.

Es ist der Versuch, durch (eigene) Macht zu erlangen, was Gott uns durch die Beziehung zu ihm – das heißt aus Gnade – schenken will. Es ist die Option Macht vor Beziehung, wie sie etwa auch in der Manipulation des eigenen Körpers mithilfe von Chemikalien praktiziert wird.

Eine Kultur, die dieser Option folgt, kommt nicht umhin, das Recht des Stärkeren zu legitimieren. Warum soll ein Land ertrinkende Flüchtlinge aus dem Mittelmeer retten? Sie hätten ja zuhause bleiben können. Warum soll ein Mann Verantwortung für Frau und Kind übernehmen? Sie hätte ja abtreiben können. Warum soll eine Frau ein Kind zur Welt bringen, wenn sie nur schwanger ist, weil die Verhütungsmethode versagt hat? Sie kann ja abtreiben! Das Resultat dieser Option: Das letzte Glied in der Kette hat keine Option.

In einer Kultur, die dieser Option folgt, wird die Machtfrage zur alles entscheidenden. Es ist eine Kultur, die auf verblüffender und hoffentlich auch erschreckender Weise der vorchristlichen, antiken Sklavenhalterkultur ähnelt, in der die Frage, ob ein Kind leben durfte, einzig und allein von der „Choice“ des Vaters abhing, so wie heute von jener der Mutter. Es ist die unilaterale Choice des je Stärkeren.

Eine Parallele besteht aber auch zu der marxistischen Vorstellung von der Geschichte als einer quasi-mechanischen Abfolge von Klassen-, das heißt Machtkämpfen.

Im Hintergrund steht letztlich die atheistisch-materialistische Vorstellung von der Welt als einem Vakuum, in dem sich freie Atome herumbewegen und beim gegenseitigen Aufeinanderprallen die Richtung des je anderen beeinflussen. Die Frage dabei: Wer bringt den größten „Wums“ mit? Wer setzt sich durch?

In einer solchen Welt wird es immer Unterdrücker und Unterdrückte, Täter und Opfer geben. Denn diesem Gegensatz ein Ende zu bereiten, würde verlangen, alles zum Stillstand zu bringen, dem Leben selbst ein Ende zu bereiten.

Die christliche Sicht auf die Welt ist das nicht. Ohne die Realität von Macht, Machtgefällen und auch Machtmissbrauch zu leugnen, liegt für sie die ontologische wie ethische Priorität bei der Beziehung.

Ja, aus der Beziehung gewinnt Macht ihre Existenz, ihre Norm und ihre Legitimität.

…ihre Existenz, da Macht ein Beziehungsgeschehen ist.

…ihre Norm, weil sich Macht(ausübung) daran messen lassen muss, inwieweit sie der Beziehung und damit dem Leben dient.

…ihre Legitimität, insofern sie tatsächlich der Beziehung und damit dem Leben dient.

Dialog statt Technik

Aus der Priorität der Beziehung gegenüber der Macht folgt eine Priorität des Dialogs gegenüber der Technik, denn Dialog ist Dienst an der Beziehung so wie Technik Dienst an der Macht ist. Dialog pflegt Beziehung, wie Technik Macht schafft und erhält.

So gesehen ist Dialog keine Methode oder Technik, die in sich wertneutral ist und hinsichtlich ihrer ethischen Bedeutung davon abhängt, ob man sie für Gutes oder Böses einsetzt. Dialog ist eine Tugend, eine Charakterhaltung, die ihrem Wesen nach auf das Gute ausgerichtet ist, nämlich auf die Pflege von Beziehung.

Wie jede Tugend verlangt Dialog Übung und Verinnerlichung. Das ist ein oft mühevoller Prozess. Als solches verlangt er die Annahme von Mühe, nicht Auflehnung gegen sie. Es ist einfacher, über den anderen hinwegzugehen, sein eigenes Ding durchzuziehen, als sich auf den anderen einzulassen, ihm wirklich zuzuhören, ihm antworten zu müssen und sich auf einen Prozess einzulassen, dessen Resultat nicht schon von vorneherein feststeht.

Genau das hat Papst Franziskus der katholischen Kirche mit seinem synodalen Prozess zugemutet – eine Erziehung in der Tugend des Dialogs. Wer sich dieser Chance verschließt, indem er mit vorgefertigten Agenden anreiste, auf der Suche, wie er diese durchdrücken könne, bleibt auf der Ebene der Macht und der Technik stehen.

Dialog

Die Antwort auf die sozial-ökologische Krise unserer Zeit – Klimawandel, Artensterben, Migrationskrise, um nur ein paar Facetten zu nennen – verlangt die Überwindung des technokratischen Paradigmas, verlangt die Überwindung eines Paradigmas, das die Ausübung von Macht priorisiert, das keinerlei Grenzen – ökologische oder ethische – bereit ist zu akzeptieren, verlangt die Relativierung von Macht und Technik als Lösungswege, verlangt die Annahme von Grenzen – angefangen mit jenen, die der Dialog uns abverlangt: das Anerkennen der Würde des (jedes) anderen, der Legitimität seiner Perspektive. Es ist der erste nötige Schritt zu einer friedvollen, freien und zugleich solidarischen (Welt)Gesellschaft, weshalb es nur folgerichtig ist, dass weite Abschnitte sowohl von Laudato Si‘ (Kapitel 5) als auch Fratelli tutti (Kapitel 6) diesem Thema gewidmet waren. Papst Franziskus fordert Kirche und Welt gleichermaßen zur Dialogbereitschaft auf. Das bedeutet allerdings keine Aufforderung zum Relativismus. Denn wie Benedikt XVI. in Caritas in Veritate erklärte:

„Denn die Wahrheit ist „lógos“, der „diá-logos“ schafft und damit Austausch und
Gemeinschaft bewirkt. Indem die Wahrheit die Menschen aus den subjektiven Meinungen
und Empfindungen herausholt, gibt sie ihnen die Möglichkeit, kulturelle und geschichtliche
Festlegungen zu überwinden und in der Beurteilung von Wert und Wesen der Dinge einander zu begegnen.“
(CiV 4)

In derselben Linie hält Papst Franziskus in Fratelli tutti fest, wobei er sich selbst aus Laudato Si‘ zitiert:

„Der Relativismus ist keine Lösung. Unter dem Deckmantel von vermeintlicher Toleranz führt
er letztendlich dazu, dass die Mächtigen sittliche Werte der momentanen Zweckmäßigkeit
entsprechend interpretieren. Wenn es letztendlich nämlich »weder objektive Wahrheiten
noch feste Grundsätze gibt außer der Befriedigung der eigenen Pläne und der eigenen
unmittelbaren Bedürfnisse […] können wir nicht meinen, dass die politischen Pläne oder die
Kraft des Gesetzes ausreichen werden […] Denn wenn die Kultur verfällt und man keine
objektive Wahrheit oder keine allgemein gültigen Prinzipien mehr anerkennt, werden die
Gesetze nur als willkürlicher Zwang und als Hindernisse angesehen, die es zu umgehen gilt«.“
(FT 206)

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