Anarchistin, Pazifistin, Kommunistin, Mutter eines abgetriebenen Kindes, alleinerziehende Mutter, Gründerin einer Arbeiterbewegung – und möglicherweise bald eine katholische Heilige? Was unglaublich klingt, ist doch Realität und diese Realität trägt den Namen Dorothy Day.

Die 1897 in New York geborene und 1980 ebendort gestorbene Dorothy Day ist sicher eine der schillerndsten Figuren sowohl des US-amerikanischen Anarchismus als auch der katholischen Kirche in den USA.

4 Mal wurde sie wegen zivilen Ungehorsams verhaftet – das letzte Mal davon im stolzen Alter von 75 Jahren. In seiner Ansprache an die Mitglieder des US-Kongresses im Jahr 2015 war sie eine von 4 Amerikanern – neben Abraham Lincoln, Martin Luther King und dem Trappistenmönch Thomas Merton – die Papst Franziskus namentlich erwähnte und auf deren Leben und Wirken er einging. Aktuell läuft der Prozess ihrer Heiligsprechung.

Dorothy Day

Die aus dem liberalen Protestantismus stammende Dorothy Day wurde als Erwachsene Kommunistin und engagierte sich politisch. Es waren die ersten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts und die soziale Frage war drängend – drastisch verschärft noch durch den Ausbruch der Weltwirtschaftskrise 1929. Nach ihrer Bekehung zum katholischen Glauben mit 30 Jahren blieb sie ihrem Engagement für die Arbeiter und Armen treu und gründete gemeinsam mit Peter Maurin die Catholic Worker Movement.

Was ist die Catholic Worker Movement?

Die Catholic Worker Movement begann 1933 inmitten der Weltwirtschaftskrise mit der Veröffentlichung einer Zeitung namens „The Catholic Worker“. Ziel der Zeitung war und ist es, auf die Nöte und Probleme der sozial Schwachen aufmerksam zu machen und soziale Ungerechtigkeiten anzuprangern, um ihre Leser zu sozialem Handeln zu motivieren. Die Zeitung ist dabei klar parteiisch zu Gunsten der Schwächsten und nahm damit die in den 1960er Jahren in Lateinamerika formulierte Option für die Armen um 3 Jahrzehnte vorweg. The Catholic Worker steht damit für einen aktivistischen Journalismus. Zugleich war das Ziel der Zeitung, die Soziallehre der katholischen Kirche unter den Arbeitern bekannt zu machen und zu zeigen, wie die in ihr formulierten Antworten auf die soziale Frage den Bedürfnissen der Arbeiter mehr entsprachen als die Verheißungen sowohl von Kommunismus als auch von Kapitalismus. Bis zum heutigen Tag beträgt der Preis für eine Ausgabe des Catholic Worker 1 US-Cent. Die Unkosten werden über Spenden finanziert.

Bis zu ihrem Tod war Dorothy Day Herausgeberin der Zeitung. Bald schon beließen sie und Maurin es jedoch nicht beim Journalismus. Zentral für den Aktivismus von Dorothy Day waren die Werke der Barmherzigkeit. In ihnen sah sie nicht nur einen bevorzugten Weg der Nachfolge Jesu. Sie war auch der Überzeugung, dass nur so die menschliche Person als Person, das heißt als konkretes Gegenüber, berührt werden konnte – und damit neben ihren materiellen auch ihre spirituellen Bedürfnisse gestillt werden können, die für sie als gläubige Christin noch vor den materiellen kamen, ohne damit den materiellen Bedürfnissen auch nur irgendetwas von ihrer Dringlichkeit zu nehmen. Ja, Menschen brauchen Kleidung, Nahrung, ein Dach über dem Kopf – und heute noch vieles mehr. Aber sie brauchen auch Liebe.

In diesem Geiste gründeten sie ein „Haus der Gastfreundschaft“. Hier sollten Obdachlose und Bedürftige Aufnahme finden und je nach den vorhandenen Möglichkeiten mit allem Notwendigen versorgt werden. Betrieben wurde das Haus von Freiwilligen, die, ohne festes Einkommen, von Spenden lebten und einen einfachen Lebensstil führten. In den folgenden Jahren und Jahrzehnten wurden immer neue, vergleichbare Gemeinschaften gegründet. Heute gibt es weltweit 187 solcher Gemeinschaften, die meisten davon – 160 – in den USA, aber auch 3 in Deutschland. Einige der Gemeinschaften entstanden bewusst im ländlichen Raum, um ein naturnahes Leben zu führen.

Ab Mitte der 1930er Jahre vertraten Dorothy Day und die Catholic Worker Movement offensiv das Prinzip der Gewaltlosigkeit – dieses Mal die jüngste lehramtliche Entwicklung in der Enzyklika Fratelli tutti von Papst Franziskus vorwegnehmend. Für die Rechte der Arbeiter beteiligte sie sich an Streiks.

Dorothy Day und die ganzheitliche Ökologie

Was hat nun Dorothy Day mit einer ganzheitlichen Ökologie zu tun? Auch wenn man nicht sagen kann, was eine historische Gestalt tun würde, würde sie heute leben, so können wir uns doch zumindest gut vorstellen, wie Dorothy Day in unseren Tagen, die vor so ganz anderen Herausforderungen als das 20. Jahrhundert stehen, die Gründerin einer „Catholic Climate Movement“, einer „Katholischen Klima-Bewegung“, wäre.

Ihre Lösungsansätze für diese Jahrhundertherausforderung wären sicher von den gleichen Prinzipien geleitet wie jene, die sie für die Not der Arbeiter und Armen umsetzte: statt auf unpersönliche staatliche Maßnahmen, einen Ausbau der Bürokratie und der Kontrollen zu setzen, oder gar auf technologische Lösungen, selbst aktiv werden, dezentrale und lokale Lösungen entwickeln, bei denen die Beteiligung und das Empowerment der Betroffenen und Bedürftigen im Vordergrund steht – und die bedingungslose und radikale Solidarität mit ihnen; aber auch konkrete und praktische Hilfe. Sicher würde sie auch Klimastreik und – wo in ihren Augen erforderlich – zivilen Ungehorsam unterstützen, ja sich aktiv daran beteiligen – und dabei Gewaltlosigkeit praktizieren. Die landwirtschaftlichen Kommunen ihrer Bewegung, quasi ein Vorläufer der solidarischen Landwirtschaft, zeigen, dass sie wohl auch in diesem Bereich engagiert dabei wäre, um ein neues, heileres Verhältnis zur uns umgebenden Natur zu fördern.

Zweifellos würde sie sich aber nicht nur für einen Konsumstreik und einen einfacheren Lebensstil einsetzen, sondern ihn selbst vorleben in einer Gemeinschaft Gleichgesinnter, wie sie dies ja tatsächlich auch damals getan hat. Ihr wäre dabei bewusst, dass nicht nur „unser“ Planet und das Klima, sondern auch eine solche Gemeinschaft verletzlich und stets gefährdet ist, da das, was all das bedroht, ja mehr und mehr zerstört, in unser aller Herzen wohnt – die bösen Gedanken, Habgier, Bosheit, Hinterlist, Ausschweifung, Neid, Lästerung, Hochmut und Unvernunft – und wir deshalb alle Erlösung brauchen – und finden können: im eucharistischen Herrn.

Mit ihrem tatsächlichen Einsatz für die Armen und Arbeiter und ihrem hypothetischen Einsatz für Klima- und Umweltschutz aus einem tiefen Glauben an Jesus Christus heraus wäre Dorothy Day in der Tat eine mehr als geeignete Schutzpatronin ganzheitlicher Ökologie und aller, die sich für sie einsetzen.

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