Einer der jüngsten Blogposts befasste sich mit dem Leben und Wirken Dorothy Days, der Gründerin der Catholic Worker Movement, und inwiefern dieses eine Catholic Climate Movement inspirieren könnte. Ihre Inspiration und – nach ihren Worten – der eigentliche Gründer der Catholic Worker Movement war der Franzose Peter Maurin. Zur Beantwortung der sozialen Frage hatte er ein eigenes Programm vorgelegt. Dieses und seine Übertragung auf die ökologische Frage unserer heutigen Zeit ist das Thema dieses Blogposts.
Peter Maurins Programm bestand im Wesentlichen aus 3 Punkten:
- Diskussionen am runden Tisch
- Häuser der Gastfreundschaft
- Agrar-“Universitäten“ auf dem Land
Was hat es damit auf sich?
Maurin betrachtete vor dem Hintergrund seines katholischen Glaubens Politik und Sozialreform als dialogisch und personal. Ihm ging es nicht um eine Revolution oder Transformation „von oben“, um Entwürfe am Reißbrett oder grünen Tisch, die den eigentlich Betroffenen dann aufoktroyiert würden. Er wollte zu allererst vor Ort die Menschen ins Gespräch über die drängenden – in seinem Fall sozialen – Probleme der Zeit – und des Ortes – bringen, um durch Gespräch, durch Dialog zu einer Klärung der Gedanken und konkret anzupackenden Aktionen zu gelangen. Peter Maurin ging es nicht um zentralisierte, bürokratische oder technokratische Lösungen, sondern um eine, nein, um eine Vielzahl ziviligesellschaftlicher Antworten auf die soziale Krise.
Eine solche Antwort sollten die „Häuser der Gastfreundschaft“ sein. Die „Häuser der Gastfreundschaft“ boten – und bieten – Notleidenden und Bedürftigen konkret, praktisch und vor allem persönlich Hilfe. Maurin war sich bewusst: Die Not – gerade in den Jahren der Weltwirtschaftskrise – war so akut, dass hier und heute durch konkretes, persönliches Engagement etwas zu ihrer Linderung getan werden musste. Er pochte auch deshalb nicht primär auf strukturelle und institutionelle Veränderungen, da die Not zu groß war, um darauf zu warten, bis diese greifen würden.

Ihm war es wichtig, dass sich Menschen zusammenschlossen, um das ihnen Mögliche zu tun, die Not zu lindern, statt nur mit dem Finger auf andere, auf die Politik, die Wirtschaft oder die Wissenschaft zu zeigen. Zu dieser Option für die direkte, persönliche Tat drängte ihn allerdings nicht nur die Größe der Not, sondern ebenso die Überzeugung, dass diese Vorgehensweise die dem Menschen – und dem Evangelium – gemäßeste sei. Er war der festen Überzeugung: Menschen brauchen nicht nur äußerlich, materiell Hilfe und schon gar nicht professionelle. Was sie wirklich und vor allem brauchen ist Liebe und diese kann nur ein Du, ein personales Gegenüber, ein menschliches Gesicht geben.
Last but not least träumte Peter Maurin den Traum von Agrar-“Universitäten“ auf dem Land. In den Jahren des Fordismus, quasi dem Anfang vom Ende des industriellen Zeitalters, war sich Maurin schmerzhaft bewusst, dass es zu einem Bruch zwischen Mensch und Natur, zwischen Mensch und Umwelt gekommen war. Zeitbedingt sah Maurin stärker die katastrophalen Folgen, welche dieser Bruch auf den Menschen hatte – wie wir, nicht minder zeitbedingt, wohl mehr die katastrophalen Folgen für die Umwelt sehen. In jedem Fall aber ging es Maurin darum, diesen Bruch zu heilen. Seine Lösung sah die Bildung von Kommunen auf dem Land vor, in denen auch naturentwöhnte Städter unter Anleitung fachkundiger Landbewohner wieder ein naturverbundenes Leben erlernen sollten, nicht um wieder in ihr altes Umfeld zurückzukehren, sondern um dauerhaft ein neues Leben zu führen.
Was kann uns das Programm von Peter Maurin heute sagen?
Die Diskussionen am runden Tisch besitzen eine oberflächliche Ähnlichkeit zu der Forderung von Extinction Rebellion nach einer „Bürger:innenversammlung“. Bei näherer Betrachtung könnten die Unterschiede jedoch nicht größer sein: die Forderung von Extinction Rebellion läuft auf nichts anderes hinaus als eine neue Republik, eine neue Verfassungsordnung. Die parlamentarische Demokratie soll durch ein Rätesystem ersetzt werden. Dafür mag es gute Gründe geben – oder auch nicht; aber man sollte es so klar benennen.
Räte, die nach Quote per Losverfahren bestimmt werden und an die Stelle von in freier und geheimer Wahl gewählter Parlamentarier treten, klingt zunächst einmal demokratisch(er) – da, je nach Quote, jeder die genau gleiche Chance hat, Rat zu werden. Dennoch bleibt es am Ende eine Auslese, eine Elite, die berät und Entscheidungen trifft – auch wenn sich das Prozedere der Auslese im Vergleich zum heutigen System geändert hat. Maurin ging es nicht darum, dass eine Auslese berät und entscheidet – egal wie sie sich konstituieren mag. Peter Maurin erinnert uns daran, dass die Bekämpfung des menschengemachten Klimawandels das konkrete, persönliche Engagement wirklich jedes einzelnen von uns erfordert – aber nicht alleine, sondern in Gemeinschaft mit anderen.
Die „Häuser der Gastfreundschaft“ erinnern uns an das Primat konkret gelebter Liebe. Wer wahrhaft liebt, will das Wohl des anderen und ist dazu auch zu persönlichem Verzicht bereit. Wir wissen alle, dass ohne persönlichen Verzicht, gerade in den westlichen Industriegesellschaften, der menschengemachte Klimawandel nicht aufgehalten werden kann. Für persönlichen Verzicht braucht es aber die Bereitschaft dazu – und es ist offensichtlich, dass diese – zumindest in hinreichendem Maße – bisher fehlt.

Aufklärung, Moralische Appelle und staatlicher Zwang reichen nicht aus, um diese Bereitschaft zu wecken. Die wenigsten Menschen lassen sich allein durch Aufklärung, durch rationale Argumente dazu bewegen, ihr Leben zu ändern, auf liebgewonnene Gewohnheiten zu verzichten. Moralische Appelle nutzen sich mit der Zeit ab. Staatlicher Zwang weckt Widerspruch und regt die Phantasie an, Wege zu finden, diesen zu umgehen, das heißt das, was durch den staatlichen Zwang unterbunden wird, auf anderem Wege zu realisieren. Allein die Liebe macht bereit zu Opfern. Liebe kann man aber nicht erzwingen. Zur Liebe kann man nicht auffordern. Liebe muss man wachsen lassen.
Liebe ist aber immer konkret. Wir können nicht „den Regenwald“ lieben, auch nicht die Biosphäre oder die Artenvielfalt. Wir können aber die Landschaft mit ihren tierischen und pflanzlichen Bewohnern lieben, in der und mit denen wir leben. Wenn wir das tun, interessieren wir uns dafür, was mit ihr geschieht, was unser Verhalten mit ihr macht, wie der von uns verschuldete Klimawandel diese Landschaft (und ihre Bewohner) schädigt.
Aus diesem Grund ist der dritte Punkt aus Peter Maurins Programm wohl der aktuellste von allen. Wir brauchen Orte – an jedem Ort – an denen wir unsere Heimat, die Landschaft in und mit der wir leben, kennen- und liebenlernen können. Das können aber keine Orte sein, die einfach nur aufklären und informieren. Es können auch nicht einfach nur touristische Ziele sein, die also den so welt- und naturverzehrenden Konsumgedanken auch noch (mehr) in die Natur tragen. Es braucht Orte, an denen das geschehen kann, was Wendell Berry in „Sex, Economy, Freedom & Community“ „good work“ nennt. „Good work“ meint Arbeit, die Zeit und Hingabe verlangt, die nützlich ist – in, mit, an der Landschaft und ihren Bewohnern. Ein Beispiel hierfür ist die solidarische Landwirtschaft. Andere gibt es sicher auch. Wer sucht, der findet.