Seit gut 1 Monat ist das Institut für ganzheitliche Ökologie nun auch auf Twitter vertreten. Bislang hat sich das Institut aus aktuellem Anlass – dem Regierungsvorhaben zur Enttabuisierung von Abtreibung – über seinen Account vor allem an der aktuellen Abtreibungsdebatte beteiligt. Mir ist es nun ein Anliegen, die bisherigen Eindrücke dieser Diskussion(en) in Ruhe und auch in einer bleibenderen Form als einem Tweet zu reflektieren.

Auch wenn das Thema Lebensschutz / Schutz des menschlichen Lebens von der Empfängnis bis zum natürlichen Tod nicht das vorrangige oder gar einzige Thema des Instituts für ganzheitliche Ökologie ist, so ist es doch ein zentrales Element der Humanökologie – siehe Centesimus Annus 39 – die wiederum von zentraler Bedeutung für jede ganzheitliche Ökologie – siehe Laudato si 148ff – ist.

Bei der Betrachtung der bisherigen Diskussionen ergeben sich eine Reihe, ehrlich gesagt verstörender, Beobachtungen. Versuchen wir diese einmal zu ordnen.

#Followthescience – oder eher doch nicht?

In der Abtreibungsdebatte ist bei radikalen Ungeborenengegnern eine erschreckende Unkenntnis und/oder Desinteresse an für die Debatte grundlegenden biologischen Fakten festzustellen. So wird zum Beispiel beharrlich behauptet, dass das Ungeborene kein menschliches Leben sei, sondern lediglich ein Zellklumpen, obwohl die Gehirnentwicklung sowie die Entwicklung des Nervensystems bereits in der 3. Schwangerschaftswoche einsetzt und ab der 6. Schwangerschaftswoche erste Organe vorhanden sind. In der 10. Schwangerschaftswoche besitzt das Ungeborene schließlich bereits Nase, Ohren, Augen, Ellbogen, Knie, Finger und Zehen. Dies bringt uns zu Punkt 2:

Menschenverachtende Rhetorik in der Abtreibungsdebatte

Aufbauend auf (gewollter?) Unkenntnis grundlegender biologischer Fakten über den Verlauf einer Schwangerschaft wird Rückgriff auf eine menschenverachtende Rhetorik genommen, für die der „Zellklumpen“ nur ein Beispiel ist. Ein anderes Beispiel ist die Bezeichnung des Ungeborenen als Parasit – oder parasitäre Geschwüre. Abgesehen davon, dass diese Rhetorik Erinnerungen an finsterste Zeiten deutscher Geschichte wecken, sei an dieser Stelle auch auf den logischen Selbstwiderspruch seitens der radikalen Ungeborenengegner hingewiesen:

Parasiten sind Lebewesen. Ist das Ungeborene ein Parasit, dann ist es auch ein Lebewesen. Jedes Lebewesen lässt sich aber einer Spezies zuordnen. Wenn man nun nicht behaupten will, dass das Ungeborene einer anderen Spezies als der Spezies Mensch angehört – wofür es keinerlei Grundlage gibt – folgt daraus, dass es sich beim Ungeborenen um einen Menschen handelt – und daraus folgt, dass er auch als solcher zu behandeln ist.

Es ergibt sich aber noch ein anderes Problem: Sollte die Bezeichnung des Ungeborenen als Parasit zutreffen, gelte dies grundsätzlich für jedes Ungeborene gleichermaßen. Die allermeisten Schwangeren würden sich zurecht empören, würde man ihr Kind als Parasit bezeichnen. Doch genau das ist die Konsequenz der Rhetorik radikaler Ungeborenengegner. Die einzige Alternative hierzu bringt uns zu Punkt 3:

Radikaler Subjektivismus

Will man die zuletzt beschriebene Konsequenz vermeiden, bleibt nur noch ein radikaler Subjektivismus: ob ein Ungeborenes also ein Kind ist oder nicht doch ein Parasit, hängt nicht von irgendwelchen objektiv feststellbaren Kriterien ab, die man an ihm festmachen könnte, sondern einzig und allein von der subjektiven Einschätzung der Schwangeren. Will diese das Ungeborene austragen, so ist es ein Kind und verdient als solches auch medizinischen Schutz. Will sie das Ungeborene dagegen nicht, so ist es lediglich ein Parasit, der ohne jeden Skrupel entfernt werden darf. Natürlich kann sich so eine subjektive Einschätzung der Schwangeren auch ändern. Zum Beispiel kann sie sich zu Beginn der Schwangerschaft freuen auf das Kind, das in ihr heranwächst. Dann aber, im Verlauf der Schwangerschaft, passiert etwas, ihr Partner trennt sich von ihr, es gib ein attraktives Jobangebot oder was auch immer. Dann verliert das Ungeborene unter Umständen seinen Status als Kind und wird nun als Parasit eingestuft.

Vor diesem Hintergrund ist es nur konsequent, mit der Abschaffung des § 218 auch die Abtreibung bis zur Geburt zu legalisieren. Eine Entwicklung in die umgekehrte Richtung ist übrigens ausgeschlossen: wurde der Parasit erst einmal entfernt, kann er sich nicht mehr zu einem Kind entwickeln. Die Konsequenz dieses radikalen Subjektivismus ist natürlich, dass es vollkommen der Willkür eines einzelnen überlassen wird, ob ein Mensch – denn das ist das Ungeborene ja in jedem Fall, wie wir gesehen haben – nun als Mensch oder als Parasit angesehen und behandelt wird. Doch auch das schreckt radikale Ungeborenengegner nicht ab, sehen sie dies doch als eine unabweisliche Notwendigkeit an, die aus Punkt 4 folgt:

Fangen wir einmal mit dem grundlegenderen Problem an dieser Argumentation an: Wir Menschen erscheinen in ihr als reine Triebwesen, denen es möglich sein muss, ihre Triebe jederzeit und ohne Konsequenzen befriedigen zu können. Wer stellt sich so ein gelungenes und glückliches Leben vor? Wer kann sich vorstellen, dass so überhaupt ein menschliches Leben, auch ein Leben in Gemeinschaft mit anderen möglich ist? Natürlich haben wir Triebe und Bedürfnisse! Aber Gott sei Dank müssen wir die nicht unkontrolliert befriedigen. Wir können uns zu ihnen verhalten, wir können sie kontrollieren und entscheiden, wann und wie wir sie befriedigen.

Und selbstverständlich müssen wir die Verantwortung für unsere Handlungen selbst übernehmen und dürfen sie nicht auf andere abwälzen. Das erst macht unsere Freiheit aus und nicht hemmungslose Bedürfnisbefriedigung ohne jede Verantwortung. Ein solches falsches Freiheitsverständnis, wie es hier propagiert wird, hat uns, nebenbei gesagt, übrigens auch den menschengemachten Klimawandel mit all seinen katastrophalen Folgen eingebrockt.

Abtreibungsdebatte

Ach ja, die Müttersterblichkeit lag 2016 übrigens bei unter 0,0003% und entspricht damit ungefähr dem Anteil der Verkehrstoten an der Gesamtbevölkerung. Wenn dieses Restrisiko – wie gefordert – eine allgemeine Freigabe von Abtreibung rechtfertigen soll, dann ist dies nur möglich, wenn man schon vorher die Entscheidung getroffen hat, den Ungeborenen das Lebensrecht abzusprechen. Denn nicht zu vergessen: Die Sterblichkeitsquote von Ungeborenen bei einer Abtreibung liegt erheblich höher als die Müttersterblichkeit. Dieses Argument begründet dann aber nicht, was es zu begründen vorgibt, sondern setzt dies bereits stillschweigend voraus – ein Zirkelschluss also. Doch gibt es noch weitere erwähnenswerte Beobachtungen.

Selektive Wahrnehmung

Ein klassisches Beispiel ist das Herauspicken von Extremfällen wie Lebensgefahr der Mutter oder das Vorliegen einer Vergewaltigung, im rechtlichen Jargon also eine medizinische bzw. kriminologische Indikation. Da beim Verweis auf diese Beispiele in aller Regel nicht darauf hingewiesen wird, dass es sich hierbei um Extrembeispiele handelt, die in der Praxis kaum vorkommen – gemeinsam machen sie weniger als 5 % aller Abtreibungen aus – scheint es hier also um eine Emotionalisierung der Debatte zu gehen, mutmaßlich da man keine überzeugenden sachlichen Argumente vorzuweisen hat. Es ist ein rhetorischer Taschenspielertrick.

Ein weiteres Beispiel ist der Hinweis auf Einzelfälle, in denen im Ausland Frauen vorgeblich aufgrund restriktiverer Abtreibungsgesetze sterben müssen. Auch hier handelt es sich offenkundig um eine gezielte Emotionalisierung der Debatte infolge fehlender sachlicher Argumente. Weder wird berücksichtigt, wie viele Menschenleben durch die betreffende Regelung zugleich gerettet werden, noch wird berücksichtigt, ob es sich tatsächlich um ein gesetzeskonformes Handeln handelte, das zum Tod der Frau führte, oder ob nicht tatsächlich eine strafrechtlich relevante unterlassene Hilfeleistung vorliegt.

Grundsätzlich ist anzumerken, dass medizinische Maßnahmen, die den Tod des Kindes in Kauf nehmen, die aber notwendig sind, um das Leben der Mutter zu retten, solange das Kind nicht aktiv und direkt getötet wird, der Einzelfall ist, in dem (fast) jeder Lebensschützer eine Ausnahme machen würde, wobei im strengen Sinne fraglich ist, inwiefern man hier überhaupt noch von einer Abtreibung sprechen kann.

Hier zeigt sich in der Abtreibungsdebatte jedoch ein weiteres Grundproblem der selektiven Wahrnehmung: Für radikale Ungeborenengegner gibt es nur Schwarz oder Weiß: Eine Frau ist in Polen verstorben, weil die Ärzte es unterlassen haben, einen verstorbenen Zwilling vorab zu holen, aufgrund der Angst, sie könnten strafrechtlich belangt werden, wenn der andere Zwilling infolgedessen ebenfalls stirbt: Logischerweise ist die einzig denkbare Konsequenz hieraus, dass Abtreibung uneingeschränkt legalisiert werden muss. Nein, ist es nicht; es sei denn man hat den zu ziehenden Schluss bereits im Vorfeld festgelegt – woraus sich wiederum ein Zirkelschluss ergibt.

Die selektive Wahrnehmung hängt mit einem weiteren Punkt zusammen:

Fehlende Multiperspektivität

In den Medien wird in letzter Zeit vermehrt über eine „Versorgungslücke“ bezüglich Ärzten, die Abtreibungen durchführen, berichtet. Auffallend ist, dass die Berichterstattung ausschließlich aus der Perspektive der Frauen erfolgt, die abtreiben möchten. Die Perspektive, die nicht zur Sprache kommt, ist die der betroffenen Ungeborenen. Die Medien haben eine gewaltige Macht, Dinge sichtbar zu machen, ans Tageslicht zu befördern, aufzufklären. Daraus ergibt sich jedoch eine hohe ethische Verantwortung. Denn genauso haben sie die Macht, Zusammenhänge, Fakten und Perspektiven zu verschleiern. Was in den Medien nicht vorkommt, existiert nicht, jedenfalls nicht als gesellschaftlich und politisch relevantes Thema.

Indem die Medien eine bestimmte Perspektive einnehmen – und es sei daran erinnert, dass es in diesem Fall nicht die Perspektive der Schwächsten und Wehrlostesten ist – verschleiern sie andere Perspektiven. Auf diese Weise arbeiten sie am Erhalt bestehender Machtstrukturen, verhindern konstruktive und kreative Lösungen jenseits des Abtreibungs-Paradigmas und spielen in diesem Sinne eine in denkbar negativster Weise konservative Rolle. Diesen Konservatismus befeuert auch eine Haltung, die im folgenden Fall beschrieben werden soll:

Fatalismus

Dieses Argument geht wie folgt: Abtreibung mag furchtbar sein (immerhin wird das einmal anerkannt, möchte man da sagen!), aber wenn man sie nicht erlaubt, gehen die Frauen ins Ausland oder lassen sie in irgendwelchen Hinterzimmern vornehmen. Im schlimmsten Fall gefährdet das Gesundheit und Leben der Frauen und man hat am Ende noch mehr Tote – zusätzlich zu den abgetriebenen Kindern noch die bei gepfuschten Abtreibungen verstorbenen Frauen. Man könnte das Ganze auch so formulieren: Abtreibungen lassen sich nicht vermeiden, man muss sie deshalb legalisieren, damit sie unter kontrollierten und – zumindest für die Frauen – sicheren Bedingungen stattfinden können, um die Zahl der Toten möglichst gering zu halten.

Diese Argumentation offenbart jedoch erneut eine bemerkenswerte Phantasie- und Kreativitätslosigkeit, denn mitnichten ist diese Schlussfolgerung die einzig mögliche und auch nur dann die naheliegende, wenn man von vorneherein entschieden hat, dass dem Ungeborenen ein geringerer Wert zukommt als seiner Mutter. Wenn man dagegen aus der Perspektive denkt, dass wirklich jedes menschliche Leben schützenswert ist, ergeben sich durchaus andere Perspektiven.

Schauen wir sie uns einmal an und beginnen wir hierzu mit der Gefahr, bei einer restriktiven Abtreibungsregelung würden Frauen ins Ausland gehen, um dort ihre Kinder abtreiben zu lassen. Aus der genannten Perspektive ergibt sich dafür die logische Konsequenz, dass Abtreibung überstaatlich, das heißt in einem ersten Schritt EU-weit und in einem zweiten Schritt global geregelt werden muss – und zwar zum Wohle aller in einer Schwangerschaftskonfliktsituation beteiligten Menschen.

Was die Flucht in irgendwelche Hinterzimmer betrifft ist anzumerken: Wenn Frauen zu einem solchen Schritt bereit sind, muss die Verzweiflung in der Tat sehr groß sein. Die Frage ist: Warum ist das so? Und was können wir als Allgemeinheit tun, um diesen Frauen zu helfen – abgesehen von der Tötung ihres Kindes? Aufgabe von Staat und Zivilgesellschaft wäre es, Strukturen zu schaffen, die wirklich allen diesen Frauen Beratung und individuelle Unterstützung bieten – zur Not auch anonym. Es stimmt, dass zu anderen Zeiten, Frauen zu „Engelmacherinnen“ gingen, weil sie keine andere Wahl mehr hatten – aber eine so wohlhabende und organisierte Gesellschaft wie die unsrige sollte in der Lage sein, den Frauen eine bessere Alternative zu bieten. Dazu bedarf es aber des Willens – und der scheint leider zu fehlen.

Abtreibungsdebatte

Schlussendlich ist in Bezug auf das gesamte Argument anzumerken, dass es sich hierbei um eine konsequentialistische Argumentation handelt. Das heißt, etwas wird ausschließlich nach seinen Folgen beurteilt. Die Möglichkeit, dass eine Tat – etwa die Tötung eines Menschen – (jedenfalls außerhalb von Notwehr, ein Punkt, auf dem weiter unten noch eingegangen werden muss) intrinsisch böse ist und deshalb verboten werden muss, unabhängig von den Folgen dieses Verbotes, wird hier ausgeschlossen. Natürlich kann man eine solche konsequentialistische Ethik vertreten, allerdings hat die ihre Tücken, auf die an dieser Stelle leider nicht eingegangen werden kann, da dies den Rahmen sprengen würde. Doch wird das sicher nachgeholt.

Unabhängig davon ist jedoch die Argumentation auch unter der konsequentialistischen Prämisse fehlerhaft. Man muss davon ausgehen, dass das Strafrecht auch eine gewissensbildende Wirkung hat. Wenn etwas als Straftat eingestuft wird, gewinnen viele Menschen allein hierdurch schon den Eindruck, dass es sich hierbei um etwas Schwerwiegendes und Unrechtes handeln muss. Ist es dagegen keine Straftat, ist man eher geneigt, es als eine Lappalie einzustufen. Radikale Ungeborenengegner sehen dies übrigens genauso und fordern daher auch konsequenterweise die „Entkriminalisierung“ von Abtreibung, um diese so zu „Enttabuisieren“. Die naheliegende Konsequenz einer solchen „Enttabuisierung“ ist natürlich, dass die Hemmschwelle, abzutreiben sinkt und infolgedessen die Zahl der Abtreibungen und damit der getöteten Ungeborenen steigt. Eine Liberalisierung des Abtreibungsrechts führt also nicht zu weniger, sondern zu mehr Toten.

Es gibt jedoch auch noch eine weitere Form des Fatalismus: die Haltung, dass es doch angemessen ist, ein Kind abzutreiben, wenn die Schwangere im Falle eines Austragens des Kindes hierdurch in soziale bzw. wirtschaftliche Not geraten würde. Man muss es sich auf der Zunge zergehen lassen: In einem so reichen Land wie Deutschland wird tatsächlich argumentiert, dass drohende soziale oder wirtschaftliche Not die Tötung eines Menschen rechtfertigen würde. Natürlich ist die einzig menschenwürdige Lösung eines solchen Problems, falls überhaupt erforderlich, unsere Sozialgesetzgebung – und welche Gesetzgebung auch sonst erforderlich sein sollte – dergestalt zu reformieren, dass kein Mensch die grausame Wahl zwischen der Tötung seines eigenen Kindes und sozialer Armut treffen muss. Es ist schon erschreckend, dass dies keine Selbstverständlichkeit zu sein scheint. Hier zeigt sich – wieder muss man sagen – nach der menschenverachtenden Rhetorik auch eine menschenverachtende Mentalität.

„Mein Bauch gehört mir“

Ein, zugegebenermaßen, interessantes Argument in der Abtreibungsdebatte lautet, dass ein Kind erst dann schutzwürdig ist, wenn es eigenständig – das heißt unabhängig vom Körper der Mutter – überlebensfähig ist. Lassen wir es beiseite, dass das Kind auch nach seiner Geburt noch vollkommen abhängig von der Zuwendung anderer ist und schauen wir uns nur an, was diese Argumentation in Konsequenz bedeutet: Die Schutzwürdigkeit des Ungeborenen setzt also genau in dem Moment ein, in dem alternativ zu einer Abtreibung eine vorzeitig eingeleitete Entbindung genutzt werden kann, um die „ungewünschte“ Schwangerschaft vorzeitig zu beenden. Wie wird dies begründet?

Nun, ab diesem Zeitpunkt gibt es eben eine alternative Option zur Beendigung der ungewollten Schwangerschaft, weshalb die Notwendigkeit und damit die Legitimität einer Abtreibung – d.h. der Tötung eines Menschen – erlischt. Vor diesem Zeitpunkt kann eine schwangere Frau jedoch nur dann ihre ungewollte Schwangerschaft beenden, wenn sie das Kind abtreiben lassen kann. Ergo muss sie bis zu diesem Punkt die Möglichkeit zu einer Abtreibung haben, da einer Frau ihre Schwangerschaft gegen ihren Willen nicht zugemutet werden darf.

Hier stellt sich aber die Frage nach der Verhältnismäßigkeit: Ist es – den Extremfall einer kriminologischen Indikation einmal ausgenommen – wirklich der Schwangeren weniger zumutbar, zumindest solange schwanger zu sein, bis eine vorzeitig eingeleitete Entbindung möglich ist als für das Ungeborene, dass ihm sein Leben ein- für allemal genommen wird? Die zeitweise körperlich-psychische Belastung ist weniger zumutbar als die Tötung? Was hier offenkundig fehlt ist jede Empathie mit dem Ungeborenen.

Abtreibungsdebatte

Doch gibt es in der Abtreibungsdebatte auch noch eine weitere Argumentation, nicht unähnlich der Parasiten-Rhetorik von weiter oben: Das Ungeborene als ungebetener Eindringling, als „Gebärmutterbesatzer“, gegen den für die Frau als einziges Mittel der Notwehr die Abtreibung bleibt. Hier zeigt sich wieder einmal die (gewollte?) Unkenntnis in biologischen Zusammenhängen bei radikalen Ungeborenengegnern. Zur Erinnerung: Ein Kind wird gezeugt. Passiv. Es zeugt sich nicht selbst. Es ist an seiner Zeugung in keiner Weise aktiv beteiligt. Es entsteht überhaupt erst im Körper der Frau.

Die Rede von einem „Eindringling“ erinnert an veraltete Vorstellungen, wonach das Kind identisch mit dem männlichen Samen ist und beim Geschlechtsakt vom Mann zur Frau „hinüberwandert“. So läuft das aber nicht. Und das weiß man jetzt auch schon einige Zeit. Von einem Eindringling kann man also aus 2 Gründen nicht sprechen: 1. Weil das Kind nicht von „draußen“ kommt, 2. weil es selbst nichts aktiv macht, auch nicht eindringen, vielmehr geschieht etwas „an“ und „mit“ ihm – es wird gezeugt und empfangen. Tatsächlich sind in diesem Prozess 2 Personen – mehr oder weniger – aktiv beteiligt: der Vater und die Mutter; letztere Person ist identisch mit der abtreibungswilligen Schwangeren.

Außer im Extremfall (siehe oben) einer Vergewaltigung hat eine Frau also wissentlich und willentlich eine (sexuelle) Handlung vollzogen, die mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit zu einer Schwangerschaft führt. Die Verantwortung für das tatsächliche Eintreten einer Schwangerschaft nun dem Ungeborenen zuschieben zu wollen und, der ja selbst, wie gesagt, nullkommanichts dazu beigetragen hat, und ihn den Preis dafür in Form seines Lebens zahlen zu lassen, bedeutet, es zum Sündenbock für das eigene Handeln zu machen. Natürlich ist das ganz praktisch – denn wehren kann es sich ja nicht.

Was beide unter diesem Punkt behandelten Argumente bzw. Haltungen eint, lässt sich sehr treffend unter dem wohlbekannten Schlagwort „Mein Bauch gehört mir“ zusammenfassen. Wenn man es genau betrachtet, zeigt sich hierin genau die gleiche Mentalität, die in einem anderen Kontext sagt: „Deutschland den Deutschen“.

In beiden Fällen stehen sich zwei Parteien gegenüber: im einen Mutter und Kind, im anderen Deutsche und Flüchtlinge. In beiden Fällen ist eine von beiden Parteien in der glücklichen Lage, ganz gut auch ohne die andere Partei auskommen zu können. Die andere Partei jedoch, das Kind bzw. die Flüchtlinge, ist in akuter Lebensgefahr, wenn sie von der ersten Partei nicht aufgenommen wird. Die beiden vorgenannten Slogans stehen nun für die Entscheidung der ersten Partei, lieber das Leben der anderen Partei zu opfern als sich dieser, wenn auch nur für eine begrenzte Zeit, zu öffnen. Selbstbehauptung vor Lebensrettung.

Patriarchat!

Und zum Abschluss die Perle. Wenn alle Stricke reißen, dann geht es den Lebensschützern aka „radikalen Abtreibungsgegnern“ gar nicht um die Ungeborenen, sie wollen in Wahrheit doch nur die Frauen auf diese Weise in Abhängigkeit und Unterdrückung halten und das Patriarchat erhalten. Jetzt mal ehrlich: Und wenn es so wäre? Würde das irgendetwas von dem bisher geschriebenen unwahr machen? Letztlich zeigen jene, die dieses Argument vorbringen nur eines, nämlich dass sie bereit sind, die Ungeborenen für ihre Ideologie zu opfern. Genug davon!

Schreibe einen Kommentar