Vor einiger Zeit wurden hier zwei vollkommen unterschiedliche Modi des Weltzuganges präsentiert: die Logik der Aneignung und die Logik der Übereignung. Beide Logiken entfalten eine enorme Wirkungsmacht. Während Aneignung das Gegenüber objektiviert, um es verfügbar und kontrollierbar zu machen, und in einem zweiten Schritt auf eine Ressource reduziert, die verwertet wird, zielt die Übereignung auf Beziehung durch wechselseitige Teilhabe. Grob kann eine Verbindung beider Logiken zur Ich-Es- (Aneignung) bzw. Ich-Du- (Übereignung) Beziehung nach Martin Buber gelten.  Eine Frage, der bislang jedoch noch nicht nachgegangen wurde, ist die nach den Hintergründen beider Logiken. Denn natürlich schweben diese nicht in einem luftleeren Raum. Im Folgenden soll diese Frage daher eine erste Beantwortung erhalten.

Hinter der Logik der Aneignung steht als Motivation ganz unverkennbar das Begehren. Nur der eignet sich etwas an, der es zunächst einmal begehrt, das heißt besitzen will. Dem Begehren steht die Liebe als Motivation der Übereignung gegenüber. Die Liebe will das Andere einfach, das heißt, sie will, dass das Andere ist und will sein Wohl. Das Begehren will das Andere besitzen.

Übereignung

Das Begehren entsteht aus einem Bewusstsein des Mangels und zielt auf die Überwindung dieses Mangels via Aneignung. Aufgrund unserer Begrenztheit als Menschen gibt es für ein Bewusstsein des Mangels viele Anknüpfungspunkte: unsere begrenzte Kraft, Zeit, Freiheit/Macht, Wissen, Leben. Bevor jedoch ein Bewusstsein von Mangel da ist, ist zunächst einmal das Erleiden von Mangel da. Wir leiden Mangel, in anderer Weise erfahren wir ihn nicht. Im Letzten zielt das Begehren also auf das Überwinden dieses Leidens. Letztlich jedes Leidens. Die Logik der Aneignung ist in diesem Sinne eine Auflehnung, eine Rebellion gegen das Leiden, ein Widerstand gegen das Leiden. Das Leiden wird nicht angenommen und durchlitten, sondern bekämpft.

Übereignung wurzelt in Gnade

Dem Bewusstsein von Mangel beim Begehren korrespondiert bei der Liebe ein Bewusstsein von Fülle. Doch welcher Art kann diese Fülle sein, wenn die menschliche Existenz durch und durch von Mangel gekennzeichnet ist, wie wir es oben beschrieben haben?

Es ist eine Fülle, die von außen kommt, genauer: von oben. Wird der Mangel erlitten, so wird die Fülle empfangen. Das Wort für eine empfangene Fülle ist, in einem theologischen Begriff gefasst, Gnade. Eine empfangene Fülle kann nicht durch Aneignung erlangt werden, denn gerade der Akt der Aneignung würde der Fülle den Charakter der Empfangenheit rauben und so gibt es ihr gegenüber nur ein mögliches Verhalten: sich offen halten für sie. Das bedeutet aber, sich des Aneignens zu enthalten, den Mangel und das Leiden auszuhalten. Ja, anzunehmen als unhintergehbarer Bestandteil unserer Existenz. Hierzu befähigt uns das aus früheren Gnadenerfahrungen gespeiste Vertrauen sowie die auf künftige Gnade gerichtete Hoffnung. Vertrauen und Hoffnung markieren also den Unterschied zwischen dem Weg der Übereignung und dem Weg der Aneignung.

Mitnichten soll damit natürlich angedeutet werden, dass Leiden nicht, wo möglich, gelindert werden kann, ja soll. Leiden ist per se nichts Gutes, sondern ein Mangel an jener Fülle, nach der wir uns sehnen. Dennoch wird es uns nie gelingen, alles Leiden abzuschaffen. In den Fällen, in denen es nicht gelingt, eröffnet die Übereignung zur Gnade und durch die Gnade den Weg zu einem reifen, verantwortungsvollen und erfüllenden Umgang mit Leid.

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