Erkenntnis ist ein Beziehungsgeschehen. Es ist die Beziehung zwischen dem, der erkennt, und dem, das erkannt wird. Die Frage ist: Wie kommt es zu dieser Beziehung? Wie wird aus dem nach Erkenntnis Strebenden ein Erkennender und aus dem zu Erkennenden ein Erkanntes? Grundsätzlich gibt es hierfür 2 Wege. Den Weg der Aneignung und den Weg der Übereignung.

Der Weg der Aneignung

Dieser Weg ist im Sprachgebrauch präsent, wenn wir sagen, „wir eignen uns Wissen über dies oder das an“. Das Ziel dieser Aneignung ist es, dieses Wissen verfügbar zu machen, es zu kontrollieren, um es in einem weiteren Schritt dann zu verwerten.

Verfügbarkeit, Kontrolle und Verwertung als die Ziele der Aneignung beziehen sich dabei nicht allein auf das Wissen über das Andere. Das Wissen ist vielmehr das Mittel, mit dessen Hilfe das Andere selbst verfügbar gemacht, kontrolliert und ultimativ verwertet werden soll.

Das Andere, das im Prozess der Aneignung von etwas Eigenem, in sich selbst Stehenden, zum Objekt meines Erkenntnisstrebens und meiner Kontrolle, meiner Herrschaft und so diesem unterworfen wird, wandelt sich im Prozess der Verwertung zur Ressource, die ausgebeutet wird. Das Andere wird also in ein Jäger-Beute-Schema gepresst. Die Aneignung und die auf sie folgende Verwertung erweisen sich also als Prozesse der Gewalt und bedeuten als solche – jedenfalls für das Andere – am Ende Zerstörung, ja den Tod.

Im Prozess der Aneignung wird das Andere wie eine geistige Nahrung aufgenommen und integriert. Wie bei der herkömmlichen Ernährung werden dabei jene Teile, die sich nicht integrieren lassen, wieder ausgeschieden. Das bedeutet auch: Was vom Anderen integriert und das heißt wirklich angeeignet wird, ist nicht das Andere per se, sondern nur dessen integrierbare Teile. Was vom Anderen angeeignet wird, ist also nur eine veränderte, eine verfremdete Form. Das Andere wird verfremdet, um angeeignet werden zu können.

Übereignung

Die Aneignung ist daher immer auch Enteignung. Das Andere, das zu Erkennende, wird als Eigenes aufgehoben, um in die Sphäre des Aneigners übertragen zu werden. Das Andere wird herausgelöst aus seinem Kontext und in den Kontext des Aneigners verpflanzt. Damit dies gelingen kann, muss das Andere dem Kontext des Aneigners angeglichen, ihm verähnelt werden. Dabei wird es sich selbst fremd. Es verarmt im Prozess der Aneignung.

In biblischen Bildern gesprochen kam die Logik der Aneignung mit dem Sündenfall in den Welt, wie mit ihm ja auch der Tod. Eva eignete sich, entgegen Gottes Gebot, die Frucht vom Baum der Erkenntnis von Gut und Böse an und in ihrer Nachfolge auch Adam. Die Folge war die Verbannung aus dem Garten Eden und der Tod für sie, ihre Nachkommen und die gesamte Schöpfung.

Liberalismus, Imperialismus, Faschismus und Sozialismus unter einem Dach

Die Logik der Aneignung hat in dieser Welt einen Siegeszug hingelegt. Die moderne, liberal-kapitalistische und individualistische Eigentumstheorie John Lockes folgt ihr. Durch Arbeit verändern wir ihr gemäß die Natur und begründen dadurch unsere Eigentumsrechte in Bezug auf sie. Kurz: Wir eignen uns durch Arbeit die Natur an.

Doch auch Krieg und Raub folgen der gleichen Logik. In ihr sind beide die „Arbeit“, durch die man sich nun nicht die Natur, sondern das Eigentum anderer aneignet. Hier bewahrheitet sich also der von linker Theorie postulierte Konnex von Kapitalismus und Imperialismus. Wo sich im Kapitalismus der Einzelne durch Arbeit die Natur aneignet, da eignen sich im Imperialismus Staaten durch Krieg bzw. kriegerische Gewalt die Länder (und Ressourcen) anderer Völker an.

Insofern die Logik der Aneignung eine Logik der Gewalt und damit letztlich des Krieges ist, der Faschismus aber beides – Gewalt und Krieg – vergöttlicht, erweist sich der Faschismus letztlich als der eigentliche Gipfelpunkt dieser Logik.

Doch auch der Sozialismus entrinnt dieser Logik nicht, sondern bejaht sie, insofern er auf die Enteignung der Produktionsmittel und damit auf deren Aneignung durch die Arbeiterklasse zielt. Ja, der Sozialismus lehnt nicht das liberale Konzept der Aneignung der Natur durch Arbeit ab. Er will lediglich in diesem Prozess die indviduelle Arbeit durch kollektive Arbeit und infolge individuelles Eigentum durch kollektives Eigentum ersetzen.

Die Logik der Aneignung entspricht dem von Papst Franziskus kritisierten technokratischen Paradigma.

Der Weg der Übereignung

Übereignung meint Hingabe, sie ist der Weg der Liebe. Sind die Ziele der Aneignung Verfügbarkeit, Kontrolle und Ausbeutung bzw. Verwertung, so sind die Ziele der Übereignung Beziehung, Gemeinschaft (Communio) durch wechselseitige Teilhabe, durch Partizipation.

Das Charakteristische an der Übereignung ist, dass sie das Andere in seiner Integrität wahrt, ja fördert, sich in ihren Dienst stellt. Zuerst ist es der, der sich übereignet, der Anteil gewährt, Anteil gibt – an seiner Kraft, an seiner Zeit, an seinem Leben. Nimmt das Andere diese Gabe an und damit in sich auf – worauf nie ein Anspruch besteht – öffnet sich das Andere auf diese Weise und gewährt damit selbst Teilhabe. So vollzieht sich Beziehung, Gemeinschaft, wechselseitige Erkenntnis.

Für den Christen erweist sich der Weg der Übereignung als der Weg Jesu Christi. Es ist der Weg der Selbstentäußerung, der Kenosis, den uns Jesus Christus vorausgegangen ist in Menschwerdung und Kreuz. Der Sohn Gottes übereignet sich in der Menschwerdung der Menschennatur, im Kreuz dem Willen Gottes und der Gewalt der Menschen. Er stiftet so Gemeinschaft zwischen sich und den Menschen sowie zwischen Gott und den Menschen. Es ist der Weg des Verzichts, des Opfers, der freiwilligen Armut, der Solidarität; nicht der Verfügbarmachung, sondern der Verfügbarwerdung.

Das paradigmatische Sozialverhältnis der Übereignung ist die Ehe, in der sich 2 Personen einander übereignen – und dies auf exklusive und unauflösliche Weise, ohne dadurch in ihrer jeweiligen Integrität beeinträchtigt zu werden. Die Ehe ist aufgrund ihrer Wechselseitigkeit nicht eingeschränkt durch Einseitigkeit, durch ihre Unauflöslichkeit nicht zeitlich begrenzt und durch ihre Exklusivität nicht relativiert durch weitere gleichartige Beziehungen.

Die Ehe verwirklicht somit die Übereignung in menschlicher Weise vollkommen, andere soziale Beziehungen nur näherungsweise. Die Ehe ist damit das Muster sozialer Beziehungen nach der Logik der Übereignung schlechthin.

Auf politischer Ebene entspricht dem Ehebund der politische Bund als ein dauerhafter Zusammenschluss zu einer Solidargemeinschaft, die gleichermaßen dem gemeinsamen Wohl aller und jedes einzelnen verpflichtet ist. Er unterscheidet sich darin zum Beispiel vom ethnos als einer (primären und im Zweifel fiktiven) Abstammungsgemeinschaft. Den ultimativen politischen Bund bildet die Kosmopolis, die weltweite Gemeinschaft aller Menschen.

So bilden Ehe und Kosmopolis die beiden Pole sozialer Beziehungen nach der Logik der Übereignung. Während die Ehe durch Exklusivität charakterisiert ist, ist das Charakteristikum der Kosmopolis ihre Universalität. Alle anderen sozialen Beziehungen spielen sich innerhalb dieser beiden Pole ab.

Arbeit in der Logik der Übereignung

In der Perspektive der Übereignung ist Arbeit nicht Aneignung der Natur, sondern Dienst an der Natur – „Hüten“ der Natur (vgl. Gen. 2,15). Nimmt die Natur diesen Dienst an, gewährt sie umgekehrt Anteil an sich selbst. So entsteht eine Gemeinschaft von Mensch und Natur als wechselseitige Teilhabe – kein Eigentumsverhältnis.

Arbeit ist also nach dieser Logik nicht ein Prozess der Aneignung, der Eigentumsrechte begründet. Arbeit ist ein Dienst, der Gemeinschaft stiftet – untereinander und mit der Natur und die Gemeinschaft sorgt für ihre Glieder.

Doch wie sieht Arbeit aus, die sich als „Hüten“ charakterisieren liese?

Hüten impliziert ein Eingreifen in die Prozesse der Natur, denn ohne das wäre es kein Hüten, sondern Untätigkeit oder Heraushalten. Das Eingreifen muss aber andererseits, um Hüten zu sein, schonend und zurückhaltend sein. Es muss die Integrität der Natur bewahren und fördern, nicht schädigen oder gar zerstören. Man denke an Jäger, die eine Quote erfüllen, um ein Gleichgewicht unter den verschiedenen Tierarten zu erhalten. Dabei gilt auch: Man kann nicht schnell schonen. Ein schonender Umgang erfordert Zeit. Hüten ist daher durch Langsamkeit oder Bedächtigkeit charakterisiert, nicht durch Schnelligkeit und Eile. Nicht durch die ungebremste Dynamik modernen Wirtschaftens.

Übereignung

Doch erst so richtig erhellt sich das Hüten von seinem eigentlichen Kontext her: dem Schafe hüten, der Hirtentätigkeit. Dies macht Psalm 23 zu einer präzisen Zusammenfassung der Anforderungen an uns als Arbeiter nach der Logik der Übereignung: Wir sollen für die Natur sorgen, dann sorgt auch die Natur für uns.

Wie die Ehe – Adam und Eva, das Lamm und seine Braut, sprich: das himmlische Jerusalem als Kosmopolis aller Zeiten – Urbild und Maßstab aller sozialen Beziehungen ist, so ist die Hirtentätigkeit Urbild und Maßstab menschlicher Arbeit.

Nun stellt sich noch die große Frage nach dem Wie gesellschatlicher Transformation unter der Logik der Übereignung. Eine vorläufige erste Antwort muss lauten:

  1. gewaltfrei
  2. in Solidarität, d. h. dass man das Leben und Leiden der anderen teilt, auf sich nimmt
  3. füreinander sorgen, das heißt das Leiden der anderen aktiv lindern.

 

Ebenso gehört dazu, unsere sozialen Beziehungen nach dem Muster der Ehe zu leben, das heißt in ihrer jeweils konkreten Einzigartigkeit (analog zur ehelichen Exklusivität), in Treue gegen den anderen und in einer Weise, die Frucht bringt – und damit, soweit vorhanden, in unseren eigenen Ehen (und Familien) zu beginnen.

Schließlich gehört dazu, unsere Arbeit nach dem Muster des Hirten zu verrichten, das heißt als zurückhaltende, schonende Fürsorge, die auf Gemeinschaft untereinander und mit dem Material bzw. Gegenstand der Arbeit zielt. Arbeit nach dem Muster des Hirten heißt auch, sich Zeit zu nehmen für das Verrichten der Arbeit, aber ebenso sich Zeit zu lassen bis man zur Arbeit schreitet, denn wer zur Arbeit eilt, wird dann kaum bei der Arbeit das Tempo wieder herausnehmen. Eine gesellschaftliche Transformation in Richtung Übereignung bedeutet also auch, die Langsamkeit als Tugend zu entdecken und zu üben

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