Eine Kultur des Schenkens ist wesentlicher Bestandteil einer durch das Paradigma der Übereignung charakterisierten Wirtschaftswelt.

Will man die verschiedenen Formen von Arbeit in die Kategorien Aneignung – Übereignung einteilen wird schnell klar: Die Erwerbsarbeit folgt stärker der Logik der Aneignung, geht es bei ihr doch primär, wie der Name schon sagt, um Erwerb und damit um eine Form der Aneignung – von Lohn, Gehalt, Lebensunterhalt, kurz: Geld.

Die Carearbeit ist demgegenüber näher angelehnt an die Hirtentätigkeit als Norm der Arbeit nach der Logik der Übereignung. Bei ihr steht der Dienst am Anderen, die Beziehung, die Gemeinschaft im Vordergrund.

Will man nun loskommen von der Logik der Aneignung, die ein auf Herrschaft, Kontrolle und Ausbeutung von Mitmenschen und Umwelt ausgerichtetes Muster ist, mit all den damit verbundenen destruktiven Konsequenzen auf uns selbst, unsere Mitmenschen und die Umwelt, heißt dies, dass es in der Welt der Arbeit eine Aufwertung von Carearbeit braucht.

Eine Aufwertung der Carearbeit wird von vielen Seiten gefordert. Doch was wäre wirklich eine Aufwertung und hinter welchen Vorschlägen verbirgt sich nur eine Mogelpackung?

Eine solche Mogelpackung ist die Forderung, Carearbeit – etwa über Steuermittel – zu bezahlen, beispielsweise in Form eines Erziehungsgehalts für Eltern.

Kultur des Schenkens

Um eine Mogelpackung handelt es sich hierbei deshalb, weil diese Monetarisierung der Carearbeit stillschweigend die Erwerbsarbeit als ökonomische, kulturelle und gesellschaftliche Norm anerkennt und eine Aufwertung der Carearbeit durch deren Angleichung an die Erwerbsarbeit anstrebt.

Defacto wird hierbei jedoch die Carearbeit in Erwerbsarbeit umgewandelt und damit als eigenständige Arbeitsform abgeschafft.

Für eine Ablösung einer Kultur der Aneignung durch eine Kultur der Übereignung in der Arbeitswelt braucht es also weniger eine Angleichung der Carearbeit an die Erwerbsarbeit, wie sie die Monetarisierung der Carearbeit darstellt, sondern im Gegenteil eine Angleichung der Erwerbsarbeit an die Carearbeit.

Aufwertung von Carearbeit – aber wie?

Die entscheidende Frage ist nun: Wie kann dies geschehen?

Eine mögliche Antwort besteht im bedingungslosen Grundeinkommen. Je nach Ausgestaltung wäre ein bedingungsloses Grundeinkommen hoch genug, Menschen in Vollzeit für Carearbeit freizustellen, ohne dass sie dabei direkt für die Carearbeit entlohnt würden.

Die Carearbeit bliebe so ein freiwlliger Dienst am Anderen statt zur Lohnarbeit zu werden – und dies ohne dass der Carearbeiter hierdurch materiell in Not geriete. Auf der anderen Seite würde Erwerbsarbeit ein Stück weit ihre monetäre Funktion verlieren und auf diese Weise näher an den Dienst- und Fürsorgecharakter der Hirtentätigkeit herangerückt.

Dies insofern als Erwerbsarbeiter weniger auf die finanzielle Dimension ihrer Arbeit angewiesen wären und dieser stärker aus intrinsischen Gründen nachgehen könnten, das heißt auch, um anderen oder ihrer Umwelt auf diesem Wege zu dienen – oder je nachdem auch nicht.

Vor allem jedoch kann das bedingungslose Grundeinkommen zu einer universellen und konkreten Erfahrung von Gnade als empfangener Fülle werden.

Es ist diese Gnadenerfahrung des Beschenktwerdens vor und unabhängig jeder Leistung, die eine neue, von Leistungs- und Wettbewerbsdruck befreite Perspektive der Liebe eröffnet, die im Anderen nicht (nur) das Objekt der eigenen Bedürfnisbefriedigung oder einen Konkurrenten um durch Mangel charakterisierte Güter erblickt, sondern eben den Anderen mit seinen je eigenen Bedürfnissen, Wünschen, Erwartungen und Vorstellungen.

Bei näherem Hinschauen erweist sich das bedingungslose Grundeinkommen jedoch ebenfalls als Mogelpackung im Hinblick auf eine Überwindung der Kultur der Aneignung.

Ehe das bedingungslose Grundeinkommen ausgezahlt werden kann, muss das entsprechende Geld zunächst einmal selbst in Form von Steuern oder Sozialabgaben durch den Staat erhoben – und das heißt eben angeeignet – werden.

Vielmehr als die Kultur der Aneignung zurückzudrängen, setzt das bedingungslose Grundeinkommen diese also im Gegenteil gerade voraus und bestätigt und bekräftigt diese so als das Fundament unseres Zusammenlebens und -wirkens.

Dies gilt selbst dann, wenn die Aneignung der entsprechenden finanziellen Mittel, wie von manchen vorgeschlagen, ausschließlich auf dem Wege von Verbrauchssteuern und nicht von Einkommenssteuern erfolgt; der Modus der Aneignung der finanziellen Mittel für das bedingungslose Grundeinkommen also entkoppelt von weiteren Modi der Aneignung – nämlich von Gehältern und Löhnen – erfolgt.

Statt eine Zurückweisung der Logik der Aneignung zu sein, kollektiviert das bedingungslose Grundeinkommen lediglich den entsprechenden Mechanismus zu einem gewissen Grad und bestätigt ihn damit zugleich.

Für eine Überwindung der Logik der Aneignung ist damit der Ansatz des bedingungslosen Grundeinkommens schlicht nicht radikal genug.

Doch welche Alternative bleibt dann?

Eine Kultur des Schenkens

Der ureigene Modus der Übereignung ist das Schenken als ein ungeschuldeter, unentgeltlicher Akt. Genau hierum geht es auch bei Carearbeit. Carearbeiter verschenken ihre Zeit, ihre Kraft, ihre Aufmerksamkeit und Fürsorge – ohne dafür unmittelbar etwas zurückzuerwarten, wenn sie auch zweifellos oft – aber bei weitem nicht immer! – etwas, ja teilweise viel und in manchen Fällen sogar mehr zurückbekommen, als sie selbst gegeben haben: an Sinn, Dankbarkeit, Zuneigung und Wertschätzung.

Der entscheidende Punkt ist jedoch: bei Carearbeit geht es nicht primär darum, etwas zurückzubekommen und vor allem erwirbt man sich keinen Anspruch, kein Recht darauf. Für manche (viele?) ist Carearbeit vielleicht eine moralische Pflicht, die man dem anderen schuldet. Vor allem aber ist es ein Geschenk, das man dem anderen macht.

Eine Aufwertung der Carearbeit muss daher in einem größeren Rahmen gesehen werden. Sie verlangt einen Kulturwandel; den Aufbau einer Kultur des Schenkens. Nur vor dem Hintergrund einer Kultur des Schenkens kann Carearbeit als das anerkannt und wertgeschätzt werden, was sie ist.

Natürlich kann man hiergegen einwenden, dass man nur das verschenken kann, was man zunächst selbst erworben, das heißt sich angeeignet hat, durch Arbeit oder auf andere Weise. Folglich setzt also, so die Argumentation, auch eine Kultur des Schenkens letztlich die Logik der Aneignung voraus und bestätigt somit diese genauso wie das bedingungslose Grundeinkommen.

Hierzu ist anzumerken, dass jegliche Strategie zur Überwindung der Kultur der Aneignung an einem Punkt starten muss, der die Kultur der Aneignung zunächst einmal als existent voraussetzt – denn das entspricht nun einmal der bestehenden Realität. Die entscheidende Frage ist jedoch, ob die gewählte Strategie in der Lage ist, diese Kultur der Aneignung Schritt für Schritt in eine Kultur der Übereignung zu transformieren oder ob sie die Kultur der Aneignung lediglich, wenn auch in gewandelter Form, perpetuiert.

Und in dieser Hinsicht ist das Schenken unübertroffen, denn wenn man auch in einer von Aneignung geprägten Kultur (primär) nur das verschenken kann, was man sich zunächst angeeignet hat, so führt eine sukzessive Ausweitung einer Kultur des Schenkens doch Schritt für Schritt dahin, dass immer häufiger das, was verschenkt wird, zuvor selbst als Geschenk empfangen wurde, so dass sich mehr und mehr ein Kreislauf des Schenkens, ein Kreislauf der Liebe herausbildet und hierum muss es letztlich gehen.

Ein weiterer Vorzug einer Kultur des Schenkens gegenüber dem bedingungslosen Grundeinkommen: Während für letzteres politische Mehrheiten gesucht werden müssen, ehe das bedingungslose Grundeinkommen Wirklichkeit werden kann, kann jeder von uns schon hier und heute mit dem Aufbau einer Kultur des Schenkens beginnen: gegenüber der Familie, Freunden, Nachbarn, Kollegen oder auch vollkommen Unbekannten – und hierzu braucht es nicht einmal finanzieller Mittel.

Wer diese hat, kann sie natürlich für diesen Zweck einsetzen. Doch wer ihrer entbehrt, kann immer noch seine Aufmerksamkeit, seine Zeit oder zumindest ein Lächeln schenken. Mit jedem einzelnen solcher Akte wird ein Stück Kultur des Schenkens gebaut und damit an einer Kultur jenseits von Herrschaft, Kontrolle und Ausbeutung – an einer Kultur der Beziehung, der Gemeinschaft, des Dienstes.

Und so beginnen wir Schritt für Schritt eine Kultur aufzubauen, in der wir achtsam miteinander und mit der Umwelt umgehen; eine Kultur, in der ein anderer Lebensstil gepflegt wird als jener grenzenloser Aneignung, ein Lebensstil, der nachhaltig und lebensfreundlich ist.

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