Die CDU hat gewählt und der jahre- (oder ist es schon jahrzehnte?) lange Traum schweigender innerparteilicher Merkelkritiker ist wahrgeworden: ihr alter Antipode Friedrich Merz wird Angela Merkels Nachnachnachfolger als Parteivorsitzender.
Ob seine Halbwärtszeit in diesem Amt länger währen wird als die seines Vor- und seiner Vorvorgängerin bleibt abzuwarten.
Was aber wohl kaum eintreten wird, ist jene – je nachdem wen man fragt – Hoffnung oder Befürchtung, die sich mit dem Namen Friedrich Merz für viele verbindet: ein deutlicher inhaltlicher Bruch mit dem politische Erbe Angela Merkels, will sagen: ein deutlich wahrnehmbarer Rechtsruck.
Der Kreis jener in Berlin – und sicher auch in der Entourage von Friedrich Merz – die glauben, auf diese Weise seien Wahlen in Deutschland zu gewinnen, dürfte ziemlich überschaubar sein.
Aber genau darum – Wahlen zu gewinnen – geht es einer Partei, die sich stets selbst eher als Regierungs- denn als Programmpartei verstanden hat; im Gegensatz etwa zur SPD, was auch ein Stück weit erklärt, weshalb in 72 Jahren Bundesrepublik die CDU für 52 Jahre den Bundeskanzler stellte und die SPD nur 20 Jahre lang.
Dennoch wird auch der neue Bundesvorsitzende wohl nicht darum herum kommen, das zu Ende zu führen, was bereits seine Vorvorgängerin angekündigt und angestoßen hatte:
ein neues Grundsatzprogramm für die nach den Merkel-Jahren programmatisch ausgezehrte Partei. Dass ein solches Grundsatzprogramm, gerade für den Kanzlerwahlverein CDU, eher etwas für das Poesiealbum sein dürfte als für den (wieder angestrebten) Regierungsalltag dürfte ebenfalls auf der Hand liegen.
Dennoch sollen nun ein paar Anregungen folgen, wie sich die CDU inhaltlich aufstellen sollte, nicht einfach mit dem Ziel, Wahlen zu gewinnen, sondern damit auch ein Mehrwert für das Gemeinwohl dabei herausspringt.
1. Sozial- und umweltverträglicher Klimaschutz
Eines der brennendsten Zukunftsthemen unserer Zeit ist sicher der Kampf gegen den menschengemachten Klimawandel. Eine entsprechend hohe Priorität wird ihm daher auch im Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung zugebilligt, in dem er sich bereits in der Überschrift des dritten Kapitels wiederfinden lässt.
Eine entsprechende gesamtgesellschaftliche Kraftanstrengung wird nicht ohne Opfer zu erbringen sein. Der christliche Glaube misst dem freiwiligen, aus Liebe geborenen Opfer einen hohen Stellenwert bei – wurde immerhin auf diese Weise unsere Erlösung aus Sünde und Tod gewirkt.
In einer zunehmend postchristlichen Gesellschaft drohen anstehende Opfer jedoch eher zum Anlass für Verteilungskämpfe und eine zunehmende gesellschaftliche Spaltung zu werden. Will die CDU ihrem Anspruch, Volkspartei zu sein, treu bleiben, kann sie daher den sozialen Zusammenhalt nicht einfach der SPD überlassen.
Das bedeutet, der naheliegenden Versuchung zu widerstehen, um bisherige FDP-Wähler zu buhlen, indem man sich einseitig als Partei der Wirtschaft und der Besserverdienenden positioniert.
Im Sinne einer ganzheitlichen Ökologie genügt allein das Achten auf eine Sozialverträglichkeit nicht aus. Ebenso muss darauf geachtet werden, dass der Klimaschutz auch umweltverträglich ist. Schon erste Meldungen über die neue Bundesregierung machen deutlich, dass die Gleichung Klimaschutz = Umweltschutz eben nur bedingt zutrifft.

Die CDU muss daher in der Opposition auch darauf achten, dass Arten- und Landschaftsschutz nicht zu Kollateralschäden eines verkürzt gedachten, allein menschliche Wirtschafts- und Konsuminteressen berücksichtigenden Klimaschutzes werden.
So wie die Aussage wahr ist, dass die Wirtschaft dem Menschen dienen soll und nicht umgekehrt, gilt auch, dass ein ganzheitlich gedachter Klimaschutz der gesamten Biosphäre und nicht allein menschlichen Interessen dienen darf – auch, aber nicht allein, weil nur so dem Menschen in seiner Ganzheit gedient ist. Aufgabe der Politik ist es daher, einen Klimaschutz zu verwirklichen, der sowohl effektiv wie auch sozial- und umweltverträglich ist.
Sollten Klima-, Artenschutz und materielles Wohlergehen nicht nur, global betrachtet, einiger weniger Menschen, sondern aller Menschen, nicht miteinander vereinbar sein, so müssen wir mit Papst Franziskus die Frage stellen, inwiefern unsere Lebensweise überhaupt nachhaltig sein kann und dann auch die Frage nach Alternativen stellen. Alternative Vorschläge (z. B. Postwachstumsgesellschaft) gibt es. Damit ist kein Urteil über diese Vorschläge impliziert. Aber eine Diskussion hierüber braucht es und irgendwann auch eine Entscheidung. Durchaus eine Herausforderung für die CDU als der Partei der sozialen Marktwirtschaft.
Wie es eine Versuchung für die CDU darstellt, sich als reine Wirtschaftspartei zu positionieren, um der FDP Wähler abspenstig zu machen, so besteht ebenso die Versuchung, durch einen Rechtsruck in der Asylpolitik dasselbe in Bezug auf die AfD zu tun. Dies steht jedoch im Widerspruch zu einer konsistenten Lebensethik.
Eine solche betrachtet jedes Leben als mit Würde versehen und schützenswert, wenn auch sicher abgestuft, so dass einem Menschenleben zweifellos eine höhere Schutzwürdigkeit zukommt als beispielsweise einem Bakterium oder einer Fliege.
Schon in den Gedanken zum Artenschutz schwang die konsistente Lebensethik implizit mit. Im Bereich der Asylpolitik wird das Thema noch deutlicher sichbar.
Mit der Öffnung der Grenzen 2015 hat Angela Merkel in einer konkreten Situation eine Entscheidung getroffen und hierbei konkreten Menschenleben eine höhere Priorität eingeräumt als materiellem Wohlstand und kultureller Integrität – hohen Gütern in der Tat, aber keine höheren Güter als das Leben von Menschen.
Diesem Erbe muss die CDU ihre Treue bewahren, will sie auf eine immer menschenwürdigere Gesellschaft hinarbeiten. Dies bedeutet darauf hinzuarbeiten, dass Asylsuchende schnell, effektiv und sicher Schutz finden. Dies beinhaltet die Sorge für sichere Schutzkorridore ebenso wie ein effektiver Kampf gegen Schleuserbanden.
Dieses Erbe verpflichtet die CDU jedoch zugleich, auch in anderen Politikbereichen die Schutzwürdigkeit menschlichen Lebens zu verteidigen, denn leider ist die AfD nicht allein darin, bestimmte Menschengruppen auszusondern, um ihnen die Schutzwürdigkeit und mithin die Menschenwürde abzusprechen.
Was der AfD die Asylsuchenden, sind den neuen Regierungsparteien die ungeborenen Menschen. SPD, Grüne und FDP wollen, dass für ihre Tötung – obwohl offiziell eine Straftat – geworben werden darf. Forderungen, die Tötung ungeborener Menschen, im Volksmund Abtreibung genannt, uneingeschränkt zu erlauben, wurden auch schon erhoben.
Gegen diese neue Barbarei, die sich gegen die Ohnmächtigsten und Unschuldigsten von uns richtet, muss die CDU lautstark aufstehen.
Schließlich fordert eine konsistente Lebensethik auch den Schutz menschlichen Lebens an dessen Ende. Mit dem rhetorischen Ruf nach Selbstbestimmung unterfüttert, ausgehend von einem verkürzten, individualistischen Menschenbild, das die vielfältigen zwischenmenschlichen Bindungen, Abhängigkeiten und Verpflichtungen schlicht ausblendet, gibt es einen massiven gesellschaftlichen Druck in Richtung Abbau der Schutzrechte älterer Menschen; Stichwort: Sterbehilfe und assistierter Selbstmord.
Eine Gesellschaft, die – wenn auch unausgesprochen – ihre Rentenproblematik und ihr Demographieproblem auf diese Weise in den Griff zu bekommen versucht, hat jegliches Anrecht, als humanistisch zu gelten, verwirkt.
Auch hier ist ein lautes und deutliches Nein der CDU erforderlich. Allerdings, eines ist wahr: Ein reines Nein wird nicht genügen, um einer wirklich konsistenten Lebensethik gerecht zu werden. Vielmehr braucht es auch positive Schritte um echte Lösungen für diese Notlagen zu finden – echt, da die Tötung eines Menschen, egal in welchem Stadium seines Lebens, nie eine Lösung ist.
Eine echte Lösung wird für die Notlagen am Ende des Lebens sicher eine Förderung der Palliativmedizin und des Hospizwesens beinhalten, bei den Notlagen am Beginn des Lebens unter anderem eine Sicherstellung, dass Schwangerschaftskonfliktberatungsstellen wirklich das Wohl von Mutter und Kind im Blick haben und nicht etwa aufgrund finanzieller Interessen an einer Abtreibung selbst in einem Interessenkonflitk stehen.
3. Wahrung der Humanökologie
Nicht nur die Umwelt-, auch die Humanökologie befindet sich in einer tiefen, menschengemachten Krise, die einer entschiedenen Antwort harrt. Leider droht auch in diesem Bereich noch neues Ungemach. Hier sei aus dem Koalitionsvertrag nur ein einziger Punkt beispielhaft herausgegriffen:
Ich gehe über das fragwürdige Konstrukt zweier Mütter hinweg, um das hier unausgesprochene auszusprechen: In einem solchen Szenario hat das Kind in der Tat rechtlich zwei Mütter, was er dagegen offenbar – jedenfalls rechtlich – nicht hat, ist ein Vater (d.h. sofern die rechtlichen „Eltern“ nicht von einem weiteren geplanten rechtlichen Konstrukt der neuen Bundesregierung Gebrauch machen, nämlich dem „kleinen Sorgerecht“).
Es ist schon erstaunlich, wie eine so gendersensible Gesellschaft – und for that matter Regierung – wie die unsrige, nonchalant davon ausgehen kann, dass es für ein Kind vollkommen egal ist, ob es nun einen Vater und eine Mutter oder 2 Mütter und keinen Vater, 2 Väter und keine Mutter oder auch 3 Väter und 1 Mutter oder 3 Mütter und 1 Vater oder 2 Mütter und 2 Väter hat.
Hier wird vor allem eines deutlich: um das Kindeswohl geht es in dieser Sache am allerwenigsten – immerhin eine gewisse Konsequenz, wenn man so an das Wohl Ungeborener denkt. Interessanterweise ist vom Kindeswohl auch erst dann die Rede, wenn es um Scheidung und Trennung geht. Nein, worum es hier geht, sind die Selbstverwirklichungswünsche Erwachsener auf Kosten ihrer (Stief)Kinder und ein Götze namens Vielfalt.
Hier hat die CDU vor allem eine Versuchung zu überwinden: aus Angst vor den drohenden Nachteilen eine unpopuläre, aber wahre Position nicht einzunehmen, einem notwendigen Konflikt aus dem Weg zu gehen. Hier bedarf es der Kardinaltugend der Tapferkeit, die dazu befähigt, trotz der damit verbundenen Risiken für das Gute, hier also eine konsequente Priorisierung des Kindeswohles, einzustehen. Möge der CDU das gelingen.