Die Bedeutung des Naturrechts für die Menschenrechte

Die Naturrechtslehre und die Menschenrechte sind historisch betrachtet auf das engste miteinander verbunden. Was Naturrechtslehre dabei genau meint, ist allerdings eine andere Frage. Im Wesentlichen gibt es hier 2 Traditionen.

Thomas Hobbes, John Locke und Jean-Jacques Rousseau gingen von einem – fiktiven – Ur- oder Naturzustand des Menschen vor jeder Sozialisation aus, den sie zur Grundlage ihrer jeweiligen Theorien über einen Gesellschaftvertrag machten.

In diesem fiktiven Naturzustand verfügen die Menschen demnach über natürliche Rechte bzw. (bei Rousseau) eine natürliche Freiheit. Mit Eingehen des Gesellschaftsvertrags wird entweder darauf verzichtet als Voraussetzung für die Schaffung des Staates (Hobbes, Rousseau) oder die Errichtung des Staates dient explizit dem Schutz dieser natürlichen Rechte (Locke).

Menschenrechte im aristotelisch-scholastischen Naturrechtsdenken

Demgegenüber geht das aristotelisch-scholastische Naturrechtsdenken von der menschlichen Natur als der vollständigen Entfaltung des inhärenten menschlichen Potentials aus, das eben nicht fiktiv, sondern – jedenfalls in ihrer entfalteten Form und in der Innenperspektive – beobachtbar und feststellbar ist; etwa die Fähigkeit nach der Wahrheit zu fragen oder Entscheidungen zu treffen.

In einem zweiten Schritt wird dann gefragt, welche Güter ganz allgemein Voraussetzung für die Entfaltung dieses Potentials sind. In Bezug auf diese Güter wird sodann ein Recht postuliert, das universell für alle Menschen gilt, da alle Menschen – unabhängig von ihrer jeweiligen konkreten Verfassung – prinzipiell zumindest über das entsprechende Potential verfügen.

So wird es etwa ohne Gewissens-, Religions-, Meinungs-, Informations- und Pressefreiheit, aber auch dem Recht auf Bildung für die allermeisten Menschen unerreichbar sein, mit ihrem Intellekt die Wahrheit, wie auch immer diese aussehen mag, zu erkennen.

Ohne das Recht auf körperliche Unversehrtheit, Privateigentum, Vertragsfreiheit, Assoziations- und Versammlungsfreiheit und vieles mehr würde es gleichfalls für die allermeisten Menschen unerreichbar sein, ihren freien Willen in nennenswerter Weise zu gebrauchen.

Die Menschenrechte ergeben sich also zunächst einmal aus dem spezifischen menschlichen Ziel (der menschlichen Finalursache), die Wahrheit zu erkennen und ihr gemäß zu handeln und zu leben.

Menschenrechte

Der Vorzug des aristotelisch-scholastischen Naturrechtsdenkens gegenüber den Gesellschaftsvertragstheorien der sog. Aufklärer besteht zum einen darin, dass es auf realen und universellen Gegebenheiten und nicht auf Fiktionen gründet. Letztere werfen die Fragen auf, ob die so festgestellten natürlichen Rechte nicht genauso fiktiv sind wie der Naturzustand, dem sie entnommen sind.

Darüber hinaus liegt den Gesellschaftsvertragstheorien ein falsches, individualistisches Menschenbild zugrunde, wonach Menschen primär individuelle Wesen wären und erst in einem zweiten Schritt in soziale Beziehungen eintreten.

Ein solches individualistisches Denken fördert die Tendenz, Eigeninteressen über das Gemeinwohl zu stellen, ja das Gemeinwohl für fiktiv oder lediglich die Summe der Eigeninteressen zu halten.

Es reduziert Politik – sowie das soziale Zusammenleben allgemein – auf Interessenkonflikte, die – bestenfalls – durch das Aushandeln von Kompromissen, schlimmstenfalls durch Gewalt gelöst werden. Demgegenüber ist die aristotelisch-scholastische Konzeption mit einem personalistischen Menschenbild vereinbar, wonach das Gemeinwohl real ist, es die Summe der Eigeninteressen transzendiert und Politik diesem Gemeinwohl zu dienen hat.

Schließlich konstruiert die Gegenüberstellung von Natur(zustand) und Gesellschaft einen Antagonismus, bei der die Natur als ein potentiell feindseliges „Anderes“ markiert wird, das es zu unterwerfen und beherrschen gilt. Bei Aristoteles dagegen ist das Gemeinwesen der eigentliche „Naturzustand“ des Menschen.