Was ist Personalismus?
Offiziell ist der Kollektivismus out. Stattdessen regiert der Individualismus – und das nicht erst seit dem „Ende der Geschichte“. Wir – zumindest insoweit wir „westlich“ sozialisiert wurden – begreifen uns zuallererst als Individuen. Wir gehören uns selbst, treffen für uns selbst Entscheidungen und treten von Zeit zu Zeit in transaktionale Beziehungen mit anderen Individuen, in denen wir – sofern wir einigermaßen moralisch integer sind – bereit sind, selbst etwas zu leisten, sofern wir dafür auch wieder etwas zurückbekommen. Und wenn die Kosten-Nutzen-Rechnung negativ ausfällt beenden wir das Ganze eben wieder.
Nun würden wohl eher wenige so ihr Ehe- oder Familienleben beschreiben. In der Praxis läuft es dennoch oft genug genau darauf hinaus. Und wo dies nicht der Fall ist, da liegt das schlicht daran, dass dieses individualistische Selbstbild, das wir als Menschen in der heutigen Zeit pflegen, einfach falsch ist.
Für eine kurze Zeit im 20. Jahrhundert sah es einmal so aus, als könne die falsche Dichotomie von Kollektivismus und Individualismus durchbrochen werden. Verschiedene Denker und Bewegungen begriffen und bekannten sich als Personalisten.
Doch daraus ist nichts geworden. Wahrscheinlich war diese Position einfach zu normal als dass sie eine große Anhängerschaft hätte finden können. Normal ist sie aber, weil sie wahr ist.
Auf die Frage „Ist der Mensch Individuum oder Sozialwesen?“ gibt der Personalismus die klassische katholische Antwort: Ja. Bekannt ist diese Antwort bereits aus der Theologie: „Ist Gott einer oder drei?“ – „Ja.“ Die Ähnlichkeit der Fragen und Antworten ist kein Zufall, wenn der Mensch als Abbild Gottes begriffen wird. Das heißt nicht, dass die Wahrheit personalistischer Anthropologie sich nicht von selbst erschließt, unabhängig vom christlichen Glauben. Hilfreich ist er aber allemal dafür.
Was besagt nun der Personalismus?
Kurz: Dass wir Menschen nicht zuerst Individiuum oder Angehörige eines Kollektivs sind, sondern zugleich Individual- und Sozialwesen, dass wir zwar über unseren Intellekt und unseren freien Willen freie, eigenverantwortliche Wesen sind, aber zugleich nie losgelöst und unabhängig von konkreten Beziehungen und Gemeinschaften existieren, sondern uns immer schon in diesen vorfinden und vorfinden werden – ob wir dies nun wollen oder nicht.

Beziehung und Gemeinschaft ist nichts, was zum Menschsein erst noch hinzukommen müsste. Menschen stehen immer schon in Beziehung und in dieser Beziehung in Verantwortung gegenüber anderen. Sie sind eben nicht abstrakte Individuen, sondern konkrete Personen.
Das bedeutet, dass die Qualität ihrer Beziehungen und Gemeinschaften konstitutiv für das Wohlergehen und die ganzheitliche Entwicklung von Menschen ist. Aber auch, dass diese Beziehungen und Gemeinschaften Raum zur Entfaltung brauchen.
Eine Politik, die das ernst nimmt, kann sich nicht darauf beschränken, das Individuum immer weiter zu emanzipieren und dabei Beziehungen und Gemeinschaften auf kündbare Verträge zu reduzieren, die dem Indivduum maximale Autonomie einräumen und den Fortbestand von Gemeinschaften und Beziehungen allein von dem Beteiligten abhängig macht, der am Fortbestand das geringste Interesse hat.
Eine solche Politik muss Beziehungen und Gemeinschaften – angefangen bei Ehe und Familie – um ihrer selbst willen achten, sie vor Zerfall und Auflösung schützen und in ihrer Identität und Eigenständigkeit stärken und schützen – also das Gegenteil dessen tun, was bereits seit Jahrzehnten getan wird.