Sexualität und Naturrecht
Sexualität dient der Fortpflanzung. Es ist unstrittig, dass sie sich zu diesem und keinem anderen Zweck in der Natur entwickelt hat und das wahrscheinlich unter anderem deshalb, weil die geschlechtliche (sexuelle) Fortpflanzung gegenüber der nicht-geschlechtlichen Fortpflanzung den Vorteil hat, dass sie das Risiko der Vererbung von Gendefekten minimiert.
Im Sinne des Aristoteles kann man also sagen: Sexualität hat als telos, als Ziel die Fortpflanzung.
Neben der Fortpflanzung erfüllt die Sexualität im Fall des Menschen jedoch noch weitere Funktionen. Sie drückt die Verbundenheit zwischen Menschen aus und vertieft sie außerdem. Man spricht hier von der Beziehungsfunktion. Sie bestätigt Menschen in ihrer Identität. Man spricht hier von der Identitätsfunktion. Und sie dient dem Erleben von Lust (Lustfunktion), was die Stressregulation beinhalten kann.
Alle diese weiteren Funktionen der menschlichen Sexualität können so verstanden werden, dass sie der Fortpflanzung als dem ultimativen Ziel der Sexualität dienen, also auf dieses Ziel hingeordnet sind.

Die Beziehungsfunktion bindet Mann und Frau enger aneinander und sichert dadurch das Überleben der gemeinsamen Kinder, insofern durch sie die Wahrscheinlichkeit erhöht wird, dass der Mann präsent bleibt, um die Frau (und damit die gemeinsamen Kinder) in der für sie besonders verletzlichen Zeit der Schwangerschaft und Stillzeit, aber auch darüber hinaus in der bei Menschen im Vergleich zu anderen Arten langen Zeit, in der Kinder unselbstständig sind, zu unterstützen.
Da wir unsere Identität in Beziehung zu andere entwickeln, kann die Identitätsfunktion nicht losgelöst von der Beziehungsfunktion betrachtet werden. Das Neben- und Miteinander von Beziehungs- und Identitätsfunktion ist dem Umstand geschuldet, dass wir als Personen zugleich Sozial- und Individualwesen sind. Die Beziehung zwischen Mann und Frau kann daher nicht zum Ausdruck gebracht und vertieft werden, ohne dass dadurch auch ihre jeweilige Identität – gerade auch als Mann und Frau – bestätigt wird.
Die Lustfunktion motiviert schließlich zum – auf Fortpflanzung ausgerichteten – Geschlechtsverkehr ganz unabhängig von einem vorhandenen Kinderwunsch.
Eine integrierte Sexualität
Eine integrierte – oder auch ganzheitliche – Sexualität verwirklicht also den Menschen als leibliche (= Lustfunktion) Person (= Beziehungs-/Identitätsfunktion) der Spezies Homo sapiens (= Fortpflanzungsfunktion).
Eine Sexualität, die einzelne Funktionen aus dieser Gesamtheit herauslöst und auf diese Weise verabsolutiert, reduziert damit den betreffenden Menschen auf seine leibliche (bei der Lustfunktion), seine individuelle (bei der Identitätsfunktion), seine soziale (bei der Beziehungsfunktion) oder (bei der Fortpflanzungsfunktion) seine Artdimension bzw. eine (unvollständge) Kombination dieser Dimensionen.
Sie steht damit der vollen Verwirklichung der menschlichen Natur entgegen und ist daher nicht naturgemäß und dem entsprechende Handlungen sind aus der Perspektive des Naturrechts unethisch.
Naturgemäß und damit ethisch im Sinne des Naturrechts sind sexuelle Handlungen dann, wenn sie das Erleben von Lust, die Bestätigung der eigenen Identität und den Ausdruck und die Vertiefung der Beziehung zum anderen gemeinsam anstreben und dabei Fortpfanzung zumindest nicht ausschließen.